Berliner Tatort-Doppelfolge „Nichts als die Wahrheit“ mit Corinna Harfouch – „Das ist echt groß“

Die neue Berliner Tatort-Ermittlerin Corinna Harfouch bekommt einen imposanten ersten Auftritt und Karow eine Kollegin, die womöglich noch cooler ist als er.
Das ist klug eingefädelt. Corinna Harfouch, die nach dem gewaltsamen Tod von Nina Rubin (Meret Becker) im Berlin-Tatort an die Seite des Hinterbliebenen Karow tritt, spielt eine branchenbekannte Polizeiakademiedozentin. Im Film muss also niemand das sagen, was alle denken: O mein Gott, das ist ja Corinna Harfouch. Stattdessen sagen sie: O mein Gott, das ist ja Susanne Bonard. Es läuft auf dasselbe hinaus. Toll, sie hier zu treffen.
Während um sie herum Stielaugen gemacht werden, sind Susanne Bonard und Corinna Harfouch aber ganz entspannt. Auch Karow ist ganz entspannt und einen liebreizenden Hauch überrascht. Mark Waschke spielt schön aus, wie ein intelligenter Mensch dreinblicken mag, wenn er feststellt, dass der andere auch nicht ohne ist. Er zitiert Karl Popper, sie weiß, dass das Karl Popper ist. Nicht übel, nicht die Regel. Und der Tatort, Routinier im Teambuilding, demonstriert, dass einem Paar, in dem Kopf auf Bauchgefühl knallte (Karow/Rubin), ebenso ansprechend zwei Schlaumeier folgen können, womöglich zwei Intellektuelle.
Berlin-Tatort an Ostern: Politthrillerhandlung, wie man sie eher aus nördlicheren Krimis kennt
Intellektuelle sind im deutschen TV-Krimi praktisch inexistent, das fällt bei dieser Gelegenheit auch auf. Das Wer-ist-lässiger-Spiel, das Karow bisher mit sich selbst spielen musste (das kann er auch, gewinnt er immer, fein für ihn), ist zudem neu eröffnet. Vorerst endet es mit einem Patt. Es gibt hübsche Momente, in denen Bonard und Karow auf getrennten Wegen zu denselben Erkenntnissen gelangen und dann unverzüglich zusammen weiterziehen. Die Reibungsverluste bisher minimal.
Dass Bonard eine Verschlossenheit in die Rolle geschrieben wurde, obwohl sie zu klug und professionell ist für die üblichen Versteckspielchen, spricht nicht gegen, sondern für die Figur. Karow lässt sich darauf auch nicht ein. Klartext durchweht eine Geschichte, in der gelogen und betrogen wird, dass es eine Art hat.
„Nichts als die Wahrheit“, geschrieben von Stefan Kolditz und Katja Wenzel, inszeniert von Robert Thalheim, ist eine Doppelfolge. Ein großer Oster-Auftritt für Harfouch und eine Politthrillerhandlung, wie man sie eher aus nördlicheren Krimis kennt.
Von der ersten bis zur letzten Minute fällt den Figuren dazu die Wendung ein, das sei groß, größer als gedacht und werde immer größer. Wer Krimis mag und Zeitung liest, ist überrascht, wie überrascht sie alle sind. Angefangen von der Szene, in der Susanne Bonard (o mein Gott, Susanne Bonard) eine schluchzende Polizistin (es sei viel größer, als sie gedacht habe) abwimmelt. Weiß sie denn nicht, dass das im Tatort immer ein Fehler ist? Jetzt ist die Polizistin tot, und Bonard hat angesichts eines scharf rechten Kollegen dermaßen Ärger an der Akademie, dass sie sich vorläufig Karow anschließt. Karow: Ach, sie habe sich beworben? Nein, natürlich nicht, eine Susanne Bonard bewirbt sich nicht.
Berlin-Tatort an Ostern: Handlung wird zum großangelegten Waffenbeschaffungsprojekt
Ausgehend von der unerträglichen Realität rechtsextremer Chatgruppen bei der Polizei und hanebüchener Vorgänge beim Verfassungsschutz gipfelt sich die Handlung derweil zu einem großangelegten Waffenbeschaffungsprojekt für einen Tag X auf. Selbst das kommt einem nicht so abwegig vor, wie es angenehm wäre. Skurril gleichwohl der Verlauf des Anschlags, auf den es drei Stunden lang hingelaufen ist. Es geht so banal schief, dass es kaum zu glauben ist, und da die Verbrecher glücklicherweise ebenso schlecht vorbereitet sind wie die Polizei, springen Held und Heldin doch wieder auf den Dächern von Berlin umher beziehungsweise mühen sich am Boden (Empfang beim Bundespräsidenten!) damit ab zu retten, was zu retten ist.
Es ist wirklich groß und wird immer größer. Bonards Mann ist Richter, Ercan Karaçayli spielt den sympathischen Juristen, der ebenfalls üble Einblicke hat. Man hofft aber beim Zuschauen auf eine glückliche Tatort-Ehe. Der Sohn scheint nett zu sein und befasst sich im Keller des traumhaften Hauses mit histologischen Studien. Sein Vater wusste auch nicht genau, was das ist.
Routine und Verheißung treffen so aufeinander, dass klar ist: Hier wäre noch viel Größeres möglich. Vielleicht entspannen sich die Macher und Macherinnen noch ein bisschen mehr.
„Tatort: Nichts als die Wahrheit“, Ostersonntag und Ostermontag, ARD, 20.15. Uhr.