Benedict Cumberbatch im Interview: „Menschlichkeit in allen Facetten zeigen“

Im Interview spricht Benedict Cumberbatch über den schmalen Grat zwischen Demut und Selbstbewusstsein, auf dem er als erfolgreicher Schauspieler wandelt.
Frankfurt – Seit 20 Jahren steht Benedict Cumberbatch, Sohn eines Schauspieler-Paares, nicht nur immer wieder auf Theaterbühnen, sondern auch vor der Kamera, wo ihm 2010 mit der Titelrolle in der Serie „Sherlock“ der Durchbruch gelang. Immer wieder spielt er die Hauptrollen in spannenden, anspruchsvollen kleinen Dramen wie im vergangenen Jahr „Der Spion“, „Der Mauretanier“ sowie natürlich „The Power of the Dog“, für den er um ein Haar den Oscar bekommen hätte.
Doch auch im Blockbuster-Kino ist er zu Hause, ob als Drache in den „Hobbit“-Filmen, als Bösewicht in „Star Trek Into Darkness“ oder als Superheld Doctor Strange im Marvel-Universum. Auf deutschen Leinwänden ist der 45-jährige Brite aktuell gleich doppelt zu sehen: als Katzenmaler in „Die wundersame Welt des Louis Wain“ sowie in der Comic-Fortsetzung „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“.
Benedict Cumberbatch im Interview
Mr. Cumberbatch, als Titelheld in „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ haben Sie es viel mit Träumen zu tun, in denen Sie auch in parallelen Universen unterwegs sind. Führen Sie privat manchmal Buch über Ihre Träume?
Während der Arbeit an meinem vorangegangenen Film „The Power of the Dog“ habe ich das manchmal gemacht. Das hat mir enorm geholfen, in diese Figur und Geschichte hineinzufinden. Und finde es prinzipiell nicht verkehrt, ein wenig seine Träume zu analysieren. Wir leben aktuell ja in einer sehr verstörenden Zeit, in der sich vieles verändert, und nicht zuletzt zu Beginn der Corona-Pandemie, im ersten Lockdown, habe ich mitbekommen, wie intensiv wir alle geträumt haben. Es ist aber nicht so, dass ich eine echte Traum-Tagebuch-Routine hätte. Was natürlich an drei kleinen Personen bei mir zu Hause liegt, die dafür morgens wenig Muße lassen.
Beim ersten „Doctor Strange“-Film vor sechs Jahren berichteten Sie, wie sehr Sie sich für die Rolle von Hamlet inspirieren ließen, weil sie während der Drehvorbereitung noch in dem Shakespeare-Stück auf der Bühne standen. War davon dieses Mal noch etwas übrig?
Damals geschah es ganz unwillkürlich, dass die Auseinandersetzung mit Hamlet mich in der Vorbereitung auf die nächste Rolle beeinflusste. Da probte ich tagsüber schon Kampfszenen für „Doctor Strange“, abends stand ich auf der Bühne. Dieses Mal war Hamlet weit weg, und auch sonst gab es kein anderes Projekt, das direkt auf mich abgefärbt hätte. Zwischen „The Power of the Dog“ und diesem Film hatte ich zum Glück drei Monate Pause und konnte die vorangegangene Rolle komplett ablegen.
Wirklich komplett? Oder tragen Sie ein bisschen von jeder Rolle stets in sich?
Sicherlich prägt mich jede Rolle auf gewisse Weise. Aber gleichzeitig versuche ich ja bewusst, mir Projekte auszusuchen, die sich immer wieder voneinander unterscheiden. Ähnlichkeiten zwischen meinen verschiedenen Rollen oder gar zwischen den Rollen und mir selbst finden zu wollen, erscheint mir deswegen eher müßig.
In „Doctor Strange“ können Sie dank des Multiversums sogar von ein und derselben Figur verschiedene Seiten zeigen. Hatten Sie Spaß daran, auch mal die dunkleren Seiten dieses Helden zu zeigen?
Großen Spaß. Wobei man sagen muss, dass gewisse Eigenschaften, die da nun deutlich zutage treten, nicht aus dem Nichts heraus entstanden sind. Im Gegenteil kann man eine recht klare Entwicklung sehen seit dem ersten Film, in dem wir ihm als Ego-getriebenen Neurochirurgen begegnet sind, dem es weniger um Hilfe für andere Menschen ging als um ein Machtgefühl und die Kontrolle über den Tod. Als Superheld veränderte er sich dann zu jemandem, der sich auch in Selbstlosigkeit üben kann. Mittlerweile sind wir ihm in mehreren Filmen begegnet, inzwischen scheint er recht allmächtig zu sein und weiß genau, was er mit seinen Superkräften alles ausrichten kann. Da kommt nun wieder, gerade im Multiversum, das Ego ins Spiel, das ihm doch noch zum Verhängnis werden könnte.
Wo wir gerade vom Selbstbewusstsein des „Doctor Strange“ sprechen: Wie selbstsicher muss man als Schauspieler sein?
Wahrscheinlich ist es ähnlich wie bei ihm: Selbstsicherheit und Willensstärke können nicht nur die größte Stärke, sondern auch eine fatale Schwäche sein. Natürlich muss man in der Schauspielerei mutig sein und klare Entscheidungen treffen, ohne ständig verunsichert zu sein. Gleichzeitig ist es extrem wichtig, dass man Fehler macht, aus denen man lernen kann. Dafür braucht es natürlich ein gewisses Maß an Bescheidenheit. Schwierig wird es vor allem, wenn der künstlerische Hunger zu verschwinden droht, dieses innere Bedürfnis, besser zu werden und an sich zu arbeiten.
Zur Person
Benedict Cumberbatch , geboren 1976 in London, wird international berühmt als Hauptdarsteller in der britischen „Sherlock“-Serie – ein kurioses Detail: Offenbar ist Cumberbatch ein Cousin 16. Grades von Arthur Conan Doyle, dem Schöpfer von Sherlock Holmes.
Auch in Hollywood ist er ein gefragter Mann, er spielt den Wikileaks-Gründer Julian Assange und den Künstler Van Gogh, den Bösewicht Khan im „Star-Trek“-Universum und Dr. Stephen Strange in Verfilmungen der Marvel-Comics. Für den Oscar nominiert wird er 2015 als bester Hauptdarsteller für „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ und 2022 für „The Power of the Dog“. Mit der Schauspielregisseurin Sophie Hunter ist er seit 2015 verheiratet, sie haben drei Kinder.
Aktuell im Kino ist Cumberbatch in „Die wundersame Welt des Louis Wain“ zu sehen sowie in der Comic-Fortsetzung „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“. osk
Wie Benedict Cumberbatch mit Kritik umgeht
Haben Sie sich je auf Ihren Lorbeeren ausgeruht?
Ich kam zumindest schon hin und wieder mal in die Nähe dieses Gefühls, einfach mal eine ruhige Kugel schieben zu wollen. Aber ich hoffe, dass es nie wirklich so weit kommt, selbst wenn zwischendurch mal der Eindruck entsteht, so viele schöne Erfolge gefeiert zu haben, dass man sich doch eigentlich nicht mehr so sehr anstrengen muss. Zum Glück beobachte ich mich da selbst sehr genau und bin ohnehin selbst mein strengster Kritiker. Lange Rede, kurzer Sinn: Als Künstler und Geschichtenerzähler geht es darum, Menschlichkeit in allen Facetten zu zeigen, daher sollte man nie das Gefühl haben, unfehlbar zu sein. Deswegen ist in Sachen Selbstbewusstsein die feine Balance so wichtig, denn ohne geht’s natürlich auch nicht.
Lesen Sie eigentlich, was die Kritik über Sie schreibt?
Nicht wirklich. Vor allem nicht, wenn ich noch mittendrin bin in einer Sache, also etwa in einem Stück noch auf der Bühne stehe oder wenn ein Film gerade erst in die Kinos kommt. Denn selbst wenn die Kritiken gut sind, machen sie einen im Zweifelsfall befangen, schließlich ist es gerade am Theater ja wichtig, dass man ganz drinsteckt in der Rolle und nicht den distanzierten Blick von außen darauf hat. Das kann nur schiefgehen. Und so sehr man mit jeder Arbeit hofft, dass das Publikum positiv auf sie reagiert, so sehr muss man sich auch bewusst machen, dass man nie jedem Einzelnen gefallen kann. Sich davon nicht beeindrucken zu lassen, hat nichts mit Arroganz zu tun, sondern ist für den Job notwendig. Was aber, wie gesagt, nicht heißen soll, dass man nicht dafür offen sein muss, dazuzulernen, sich zu verändern und zum Beispiel auch zuzuhören, wenn sich jemand von Aspekten einer Geschichte angegriffen, beleidigt oder herabgewürdigt fühlt. Da braucht es viel Feingefühl, denn die künstlerische Arbeit ist eine sehr individuelle und intime, die man am besten innerhalb des Teams diskutiert, weniger mit der breiten Öffentlichkeit.
Benedict Cumberbatch und die Suche nach dem Adrenalin-Kick
Vor einigen Jahren haben Sie erzählt, dass Ihnen Yoga und Meditation dabei helfen, ein besserer Schauspieler zu sein. Praktizieren Sie noch?
Ja, aber nicht häufig genug. Und vor allem nicht regelmäßig, dazu bin ich nicht immer genug Herr über meinen Tagesablauf. Ich würde sagen, dass beides dabei hilft, insgesamt ein besserer Mensch zu sein. Man kann dank Yoga und Meditation präsenter im Hier und Jetzt sein, sich selbst beruhigen, sich in Kontakt zum eigenen Körper bringen und dafür sorgen, dass die Gedanken nicht allzu große Kontrolle gewinnen. Das sind alles Dinge, die mir als Schauspieler dabei helfen, mich in einer Performance vor der Kamera oder vor Publikum auf den Moment zu konzentrieren. Und ganz allgemein im Alltag eben auch, weswegen es mich nicht wundert, wie sehr diese und andere Themen in Sachen mentaler Gesundheit und Achtsamkeit boomen.
Und wie steht’s um die Suche nach dem Adrenalin-Kick? Man kennt Sie ja als Motorradfahrer, Taucher und Fallschirmspringer.
Ich war nie ein Adrenalin-Junkie, falls Sie das denken. Vielmehr bin ich einfach jemand, der sehr gerne neue Dinge ausprobiert. Und das ist bis heute so, auch wenn ich durch die Familie solche Aktivitäten heutzutage möglichst nicht zu weit weg von zu Hause mache. Aktuell ist mein Ding das Surfen. Das ist nicht ganz so aufregend wie anderes, was ich schon probiert habe. Aber mit über 40 Jahren einen solchen Sport neu anzufangen, ist alles andere als einfach. Und mir macht es Spaß, ganz langsam ein bisschen besser zu werden und mit jeder Unterrichtsstunde dazuzulernen. Oder einfach nur daran erinnert zu werden, wie gerne ich im Wasser bin. Familienfreundlicher als Fallschirmspringen ist die Sache obendrein. Nicht nur, was die Zeit angeht. Sondern auch, weil ich eben heutzutage andere Menschen in meinem Leben habe, für die ich verantwortlich bin, weswegen ich vielleicht nicht mehr ohne weiteres aus Flugzeugen springen sollte.
Tatsächlich sind Sie inzwischen Familienvater, Schauspieler und auch Produzent gleichermaßen. Sind Sie also ein guter Multitasker?
Wie die meisten anderen auch, tue ich gern so, als wäre ich es. Aber ich glaube, das stimmt bei niemandem. Wir alle sind eigentlich nur dafür gemacht, uns auf eine Sache zu konzentrieren, nicht mehrere gleichzeitig. Keine der von Ihnen erwähnten Dinge sollte man halbherzig tun, deshalb muss ich mehr denn je richtig diszipliniert sein, wenn es darum geht, meine Zeit zu verwalten. Da müssen die Prioritäten immer wieder neu gesetzt werden, damit ich mich etwas zu meiner vollen Zufriedenheit widmen kann. Vor der Kamera alles geben und zugleich mit Haut und Haar Papa sein, das geht nicht wirklich gut. (Interview: Patrick Heidmann)