„Beau is Afraid“ mit Joaquin Phoenix im Kino: Albtraumnovelle

Ari Asters Farce „Beau Is Afraid“ zieht alle Register des surrealen Kinos – und ermüdet am Ende, obwohl Joaquin Phoenix beeindruckt.
Das Wort Kultfilm scheint wie gemacht für einen Regisseur wie den Amerikaner Ari Aster. Seine ersten beiden Filme handelten von Ritualen – und fanden ob ihrer audiovisuellen Kräfte selbst eine gläubige Anhängerschaft. Dabei waren die familiären Bünde, die „Heriditary“ und „Midsommar“ weit über die irdische Lebenszeit ihrer Figuren beschworen, der reinste Horror. Hier nun ist mit fast drei Stunden Laufzeit die dritte und größte seiner filmischen Alpträume: „Beau Is Afraid“.
Tatsächlich ist es weniger ein Horrorfilm als eine kafkaeske Traumerzählung, die trotz realistischer Momente kein Erwachen duldet. Der große Charakterdarsteller Joaquin Phoenix trägt sie bei allem zunehmenden äußeren Aufwand maßgeblich auf seinen Schultern. Schon der Ort Corinna, in dem er als Beau, Sohn einer reichen Geschäftsfrau, lebt, ist der reine Albtraum, doch wohin es ihn in der Folge auch treiben wird, es wird nicht besser.
Nachdem ihm sein rücksichtsloser Nachbar mit lauter Musik den Schlaf geraubt hat, werden ihm auch noch Gepäck und Schlüssel vor der Tür geklaut. So wird es nichts mehr mit einem pünktlichen Besuch bei der Mutter zum Todestag des nie gekannten Vaters, was diese am Telefon mit Ungnade quittiert.
Beaus Therapeut hat ihm ein Medikament verschrieben, das man nur mit reichlich Wasser einnehmen darf – nur ist das gerade abgestellt. Kann man den Weg auf die andere Straßenseite zum Kiosk riskieren? Besser nicht, denn als er zurückkehrt, haben Obdachlose seine Wohnung in Besitz genommen, um sie zu verwüsten.
Erst am nächsten Tag findet Beau wieder Zutritt, doch als er duschen will, sucht eine fiese Spinne seine Nähe. In Panik rennt er nackt auf die Straße, geradewegs vor einen Laster. Als er wieder zu sich kommt, hat ihn ein scheinbar philanthropisches, aber doch sehr merkwürdiges Ehepaar bei sich aufgenommen. Gern würde er sich weiter auf den Weg zur Mutter machen, zumal diese – wie ihm ihr Anwalt telefonisch mitteilt – in der Zwischenzeit verstorben ist. Und als Jüdin schnell begraben werden muss.
Doch noch ein weiterer Todesfall ist zu beklagen: Die zickige Tochter seiner neuen Gastfamilie, die ihm bis dahin das Leben schwer gemacht hat, trinkt vor seinen Augen Wandfarbe. Na jetzt aber endlich weg: Vielleicht zu einer Schauspieltruppe in den Wald?
Normalerweise erzählen wir hier keine Inhalte in solcher Ausführlichkeit, aber keine Angst, jetzt geht es ja erst los. Der weitere Plot nimmt so krude Entwicklungen, als habe sich eine Gruppe von Surrealisten zusammengesetzt und mit dem Drehbuchpapier Cadavre Exquis gespielt. Eine durchgehende Linie jedoch gibt es: Das Schuldtrauma, es einer übermächtigen Mutterfigur selbst über den Tod hinaus nicht recht machen zu können. In Rückblenden verkörpert von Patti LuPone und Zoe Lister-Jones, wirkt diese zusehends monströser. Dies könnte der grellbunte Albtraum jenes schwarzweißen Kinohelden sein, der bereits Ari Asters Horrorfilme sichtlich inspirierte, Norman Bates, Hitchcocks Duschmörder aus „Psycho“.
Eigentlich müsste man diesen außergewöhnlichen Film für seine Einfalls- und Detailfülle feiern, doch das übergeordnete Thema bremst seine Freiheit zugleich aus. Das Spiel mit den Freud’schen Klischees verliert bei aller Absurdität doch alles wirklich Spielerische, und je aufwendiger die Szenerien werden, desto ernster nimmt sich, was eigentlich doch auch sehr komisch sein könnte.
Hitchcock engagierte einst Salvador Dalí, um die Freud’sche Ikonographie zu illustrieren für seine Traumsequenz in „Spellbound“ („Ich kämpfe um dich“). Nur ein Fragment davon schaffte es in den fertigen Film, sehr zum Bedauern der Kunstwelt. Hier ist nun das uferlose Gegenstück, endloser filmischer Surrealismus, aber wie sein Held kommt das Werk nicht heraus aus seiner Obsession – der im US-amerikanischen Kino so allgegenwärtigen Psychologie.
Die männliche Hauptfigur wird als bloßer Spielball seiner Traumata zu einer geradezu erbärmlichen Opferfigur, und man kann Joaquin Phoenix nur bewundern, dass er immer noch Facetten aus diesem fremdbestimmten und eigentlich doch schrecklich langweiligen Charakter herausholt.
Vielleicht müssen Filme über Albträume, wenn sie etwas taugen, selbst zu Albträumen werden. Zwei Stunden lang macht es großen Spaß, sich in seine Wendungen zu verlieren, die letzte Stunde wird dann aber doch zu harter Arbeit – und das Ende zur Erlösung.
Beau is Afraid. USA 2023.
Regie: Ari Aster. 179 Min.