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Die Ballerina des Zaren und ihre Gegnerin

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Von: Stefan Scholl

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Natalja Poklonskaja mit Nikolai-II.-Ikone, 2016 in Simferopol, Krim.
Natalja Poklonskaja mit Nikolai-II.-Ikone, 2016 in Simferopol, Krim. © afp

Trotz heftiger Proteste der Duma-Abgeordneten Natalja Poklonskaja kommt der Film "Matilda" jetzt in Russlands Kinos.

Sie haben beide verloren: Matilda, Heldin des gleichnamigen Spielfilmes, weil ihr geliebter Thronfolger am Ende nicht ihr, sondern seiner Pflicht folgt. Und Natalja Poklonskaja, die Duma-Abgeordnete, die mit allen Mitteln verhindern wollte, dass „Matilda“ in die russischen Kinos kommt. Bei der Premiere in Sankt Petersburg am Dienstag veranstalteten zwar einige russisch-orthodoxe Aktivisten ein Protestbeten, auch landeten Fäkalien auf dem roten Teppich. Aber am gleichen Tag lehnte Generalstaatsanwalt Juri Tschaika es ab, noch eine Untersuchung gegen den Film zu eröffnen, wie Poklonskaja es gefordert hatte. Am Donnerstag startet „Matilda“ landesweit in Russlands Kinos.

Natalja Poklonskaja bleibt nur noch, per Facebook zu protestieren: „Offene geistige Schädlingsarbeit. Das ist, als ob Regisseur Utschitel einen Film über den Holocaust drehen soll und er diese Tragödie anhand von Bettszenen zeigt und im Ergebnis dem Zuschauer erklärt, es habe gar keinen Holocaust gegeben...“ Auf Youtube hat ein Witzbold schon Poklonskajas Kopf auf den Körper Matildas montiert, den Nikolai (gespielt von Lars Eidinger) im Filmtrailer umarmt. Tatsächlich spekulieren Moskaus Liberale seit Monaten mit Vergnügen über die Frage, ob Poklonskaja nicht insgeheim Eifersucht treibe – auf Matilda, die Jugendliebe des letzte Zaren.

Natalja Poklonskaja, gelernte Staatsanwältin, und Matilda Kschesinskaja, Ballerina, sind ein seltsames Paar. Es trennt sie ein Jahrhundert, aber sie haben einiges gemeinsam: Matilda Kschesinskaja galt als eine der Schönheiten der spätzaristischen High Society, ihr Augenwimpernflackern machte Furore. Natalja Poklonskaja erschien während der Krimkrise 2014 wie ein Sexsymbol des neuimperialen Russlands, das japanische Internet jubelte die junge Frau in der blauen Staatsanwaltsuniform zur Manga-Heldin hoch. Auch Russland war begeistert, 2016 wurde sie in die Duma gewählt.

In ihren Erinnerungen schildert Matilda Kschesinskaja offenherzig, wie sie schon mit 14 Jahren einen jungen Engländer seiner Braut ausspannt, aus purer Koketterie. Zar Alexander III. setzte die bildhübsche 17-Jährige beim Abschlussball ihrer Tanzschule neben seinen Sohn Nikolai und sagte: „Dass ihr mir nicht zu viel flirtet!“ – sie war daraufhin hin und weg. „Sie hat sich sofort in Nikolai verliebt, aufrichtig und doch mit Berechnung“, sagt Sofia Kodsowa, die Lektorin einer russischen Ausgabe der Memoiren Matildas. Sie hatte das Talent und den Ehrgeiz, nicht nur Primaballerina zu werden, sondern die Geliebte des Zaren zu werden - eine für Balletttänzerinnen des zaristischen Russlands nicht ganz unübliche Kalkulation.

Natalja Poklonskaja ging in der Sowjetunion in den Kindergarten, erlebte in der Ukraine als Teenager die Tanzsäle der wilden 90er Jahre, wurde Staatsanwältin und als solche in Simferopol 2011 brutal zusammengeschlagen. Bei der Krim-Annexion 2014 wechselte sie begeistert von der ukrainischen auf die russische Seite. „Sie war in allem passioniert“, sagt eine frühere Kollegin.

Zu einem Gedächtnismarsch für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges in Moskau erschien sie schon mit einer großen Ikone Nikolais. Im Gegensatz zu Kschesinskaja hat sie im Kopf gleich mehrere Weltbilder, sowjetisch, monarchistisch und christlich. Vor den Kameras erklärt sie, der Film erniedrige alle gläubigen Russen, weil er den heiligen Monarchen als sittlich schändlichen Menschen darstelle. Sie zeigt sich mit Kopftuch neben Vater Sergi, dem Führer einer orthodoxen Sekte, die Nikolai II. als russischen Nachfolger Jesu Christi anbetet, als Zar-Gott.

„Noch hat niemand den Film Matilda gesehen. Aber ganz Russland streitet, wie heilig oder sündig ein Zar sein darf“, sagt Lektorin Kodsowa. „Und ob eine Frau das Recht hat, an den Unterleib des Imperators zu denken. Als gäbe es bei uns keine anderen Probleme.“

Über beide Frauen wird im Internet wie in den Talkshows heftig diskutiert: Natalja Poklonskaja als fanatische Verehrerin und Verteidigerin ihres zaristischen Idols – und seiner Jungfräulichkeit bis zu seiner Hochzeit mit einer Prinzessin aus Hessen-Darmstadt. Matilda Kschesinskaja aber als seine voreheliche Mätresse.

Matilda vergoss bittere Tränen über die unvermeidbare Trennung vor der Hochzeit, fand sich aber damit ab, ihren Niki nur noch aus der Ferne anzuhimmeln. Auch die Mätresse blieb eine ergebene Untertanin. Und sie tröstete sich mit gleich zwei Großfürsten, den Vettern Sergei und Andrei Romanow. Die beiden Frauen haben eines gemein: Sie sind überzeugte Monarchistinnen.

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