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„Bad Tales“ im Kino: Italienischer Surrealismus

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Von: Daniel Kothenschulte

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„Bad Tales“ ist ein Film der fein gemalten Tableaus.
„Bad Tales“ ist ein Film der fein gemalten Tableaus. © Angelo Turetta

Das skurrile Vorstadtdrama „Bad Tales“ von Fabio und Damiano D’Innocenzo.

Susan Sontag prägte einst den Ausdruck vom „American Surrealism“ für die Faszination ihrer Landsleute am Alltäglich-Abseitigen, jenem morbiden Highway, der von den Fotografien der Diane Arbus geradewegs zu den Filmen von David Lynch führt. Doch längst hat dieser Highway Abzweigungen in die ganze Welt genommen. Schließlich haben die Amerikaner die ordentlich abgetrennten Vorgärten ja nicht erfunden, in denen man bei Sonnenschein abgeschnittene Ohren zwischen den Grashalmen finden könnte.

Die italienischen Brüder Fabio und Damiano D’Innocenzo haben ihren nach „Boys Cry“ zweiten Spielfilm in einem römischen Vorort angesiedelt, doch es könnte auch Lynchtown sein. Ein weißer Lattenzaun umsäumt einen Reihenhausgarten, in dem merkwürdige Dinge geschehen.

Ein Familienvater brät mit Mühe Steaks, doch als sich der etwa 11-jährige Sohn daran verschluckt, gibt es einen Riesenaufstand. Flugs schüttelt man ihn kopfüber, und als er zu weinen beginnt, fällt der Vater – um seine Aufmerksamkeit betrogen – ins Gejammer ein. „Siehst du, was du gemacht hast?“, fragt die Frau Mama den Knaben vorwurfsvoll. „Du hast deinen Vater zum Weinen gebracht.“

Paolo Carneras statische Kamera hat die ganze Szene aus einer imposanten Vogelperspektive eingefangen, was die Nähe zur US-amerikanischen Fotokunst eines Gregory Crewdson oder Larry Sultan noch betont. Nach ihren Handlungsmotiven betrachtet, fügt sich diese episodische Collage bizarrer Banalitäten zu einem Coming-of-age-Film.

Doch während vier Heranwachsende die Schwelle zur Pubertät in einer übersexualisierten, aber gefühllosen Umwelt übertreten müssen, ist das größte Kind der Vater. Gespielt von Elio Germano, einem der angesehensten italienischen Darsteller seiner Generation, wartet man nur darauf, das, was immer sich in seinem Innern zusammenbraut, plötzlich überläuft.

Einen Vorgeschmack gibt es, als er im Garten einen Swimmingpool aufbaut, sich dann aber so über den Erfolg bei den Nachbarkindern ärgert, dass er ihn selbst wieder demoliert. „Das waren die Zigeuner“, heißt es dann.

Für eine Atmosphäre klirrender Stagnation passiert in dieser Sommerhölle eigentlich eine ganze Menge. Und sei es, dass dem Jungen von einer jungen Schwangeren ein Tropfen Muttermilch auf einem Keks serviert wird. Eine Delikatesse scheint dies so wenig wie das verbrannte Steak.

Prunk der Pralinenschachtel

So oft die Filmemacher für ihre Vorlieben mit dem Österreicher Ulrich Seidl verglichen werden, so wenig verbindet ihre Positionen. Während Seidl etwas Rohes in feste Formen schnürt, verpacken die D’Innocenzos das Banale in den Prunk von Pralinenschachteln. Das italienische Kino hat seit Jahrzehnten ein Problem mit einem Überästhetizismus. Auch bei Paolo Sorrentino, einem viel besseren Regisseur, kann man manchmal den Eindruck bekommen, Ausstattung, Kamera und Darsteller überträfen sich gegenseitig, ohne dass jede Drehbuchseite immer mithalten könnte. Bei diesem Film ist es fast schon kurios, dass die vorletzte Berlinale-Jury die Filmemacher ausgerechnet für ihre Drehbucharbeit auszeichnete.

Schon die Off-Erzählung – angeblich wird aus einem gefundenen Tagebuch vorgelesen, das dann weitergesponnen wird – wirkt unnötig. So wirkt der Film wie ein exzellent gezeichneter Comic, dem ein guter Texter fehlt. Schließlich verselbstständigt sich das Dekor, und es wird wirklich eine gewisse Art von Surrealismus daraus. Aber eher ein europäischer, wie er sich schon früh im Schatten der Avantgarde breitmachte: Fein gemalte Tableaus, die jedoch nicht mehr das Unbewusste enthüllten – sondern das allzu Bekannte.

Bad Tales. Italien/Schweiz 2020. Regie: Damanio und Fabio D’Innocenzo. 98 Minuten.

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