Allzu wohlwollend: Arte-Reportage präsentiert Santeria-Kult auf Kuba als exotische Attraktion

Eine Arte-Reportage führt ins kubanische Trinidad und macht mit dem Santeria-Kult bekannt – und das in zwei Aspekten distanzlos und unkritisch.
- Ein Beitrag des ZDF zum Arte-Programm informiert über den Santeria-Kult
- Die Reportage „Santeria auf Kuba“ bleibt dabei äußerst unkritisch
- Hohe Kosten bei einem Beitritt in den Kult bleiben ebensowenig erwähnt wie potenzielle Tieropfer
Trinidad, im Westen Kubas gelegen, wirkt wie eine Filmkulisse. Oder ein Museumsdorf. Die koloniale Architektur ist hier bestens erhalten und wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Zwischen den pastellbunten Fassaden rollen die für Kuba typischen Fünfzigerjahre-Straßenkreuzer. Gut gepflegt und auf Hochglanz poliert, als seien sie eben in Detroit vom Band gelaufen. Ein kleines Wunder, wenn man bedenkt, dass Kuba seit der Machtübernahme von Donald Trump vom US-Markt wieder abgeschnitten ist und Ersatzteile für die schmucken Oldtimer ohnehin nicht leicht zu beschaffen sein dürften.
Kuba weiß mit seinen Pfunden zu wuchern – Trinidad ist eine Touristenhochburg. Wer in dieser Sparte Arbeit findet, zum Beispiel als Fremdenführerin, ist fein raus. Aber nicht alle haben dieses Glück. Auch der Santero Israel Bravo Vega profitiert von den Touristen. Etwas versteckt im Zentrum liegt sein Santeria-Tempel, der für Besucher offensteht. Um Spenden wird gebeten.
Reportage „Santeria auf Kuba“ auf Arte: Die Wurzel liegt in Afrika
Die Santeria ist eine auf Kuba entstandene Religion, die längst auch in anderen Ländern praktiziert wird. Sie geht zurück auf die aus Afrika zur Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern verschleppten Sklaven, denen die Ausübung ihres Glaubens verboten wurde. Nach außen hin konvertierten sie zum Katholizismus, aber nur, um ihre afrikanischen Götter hinter christlichen Heiligen zu verstecken. In die ausschließlich mündlich überlieferte, daher nicht leicht zu erfassende Religion mischen sich entsprechende Anleihen – die katholische Taufe ist Voraussetzung für die Aufnahme – mit Spiritismus, Trance, Musik und Magie, mit dem traditionellen Wissen um die Heilkraft der Kräuter.
Im Kolonialismus war die Ausübung der Santeria verboten, unter Fidel Castro galt sie als unvereinbar mit der Staatsdoktrin, wurde bestenfalls geduldet, insgeheim aber ohne Unterbrechung praktiziert.
Arte-Reportage „Santeria auf Kuba“: Die Geheimnisse bleiben gewahrt
Mittlerweile sind die Restriktionen aufgehoben. Die Santeria lebt wieder auf und zieht auch junge Menschen an, ebenso Wissenschaftler, die diese traditionsreiche Mischreligion zu erforschen versuchen. Kein leichtes Unterfangen, denn die zentralen Riten sind geheim. Das Reporterteam, bestehend aus Alienor Adrey, Eva Derouelle und Alix François Meier, muss denn auch draußen bleiben, als ihr Protagonist Darian das mit einem Verschwiegenheitsgebot belegte Initiationsritual vollzieht.
Davon abgesehen, erläutert der „Babalao“, der Hohepriester Israel Bravo Vega, ausführlich die Geschichte seiner Religion und schildert das Gemeindeleben. Dazu gehören die konkrete Lebensberatung und bei medizinischen Belangen die Empfehlung heilender Kräuter, deren Wirkung im Film von einem Schulmediziner bestätigt wird.
Zur Sendung
„Santeria auf Kuba“, Samstag, 18.7.2020, 19:30 Uhr, Arte
Reportage „Santeria auf Kuba“ auf Arte: Initiation kostet ungefähr das 16-fache des Durchschnittslohns
Der von seinen Gläubigen verehrte Vega scheint auch die Filmleute beeindruckt, gar in seinen Bann geschlagen zu haben. Willig folgen sie seinen Ausführungen, kritische Fragen stellen sie nicht. Es wird nur angedeutet, dass die Aufnahme in die Religion und deren Ausübung einiges Geld kostet. Die angehenden Novizen müssen für die Initiation ungefähr das Sechzehnfache des Durchschnittslohn aufbringen. Plus Ausgaben für Talismane und die vorgeschriebene Kleidung.
Mitglieder der Gemeinde helfen dem gravitätisch im Zentrum ruhenden Israel Bravo Vega, den Tempel zu führen. Werden sie entlohnt für ihr emsiges Tun?
Arte-Reportage „Santeria auf Kuba“: In Reiseführermanier – Tieropfer werden nicht erwähnt
Keinerlei Erwähnung findet, dass zur klassischen Santeria Tieropfer gehören. Ob auch Vega diese rituellen Schlachtungen durchführt? Es wäre nicht zwingend skandalös, denn das Töten von Tieren ist, wenngleich es die westliche Gesellschaft gern verdrängt und die Zahl der Veganer steigt, noch immer Basis unserer Ernährung. Aber ein guter Reporter hätte danach gefragt, auch andere Perspektiven berücksichtigt. Denn in der Vergangenheit haben Santeros schon offen eingeräumt, dass sie allzu wissbegierige Außenstehende gern an der Nase herumführen.
Die fünfundvierzigminütige Reportage, ein Beitrag des ZDF zum Arte-Programm, bietet allerlei Informationen über Kuba, Trinidad und seine Menschen. Die Santeria aber wird, auch dank der distanzfreien Diktion der deutschen Sprecherin Daniela Hoffmann, hier in so wohlwollender Reiseführermanier, quasi als exotische Attraktion, präsentiert, als hätten die Tourismusstrategen Kubas selber Regie geführt. (Harald Keller)
Die Arte-Dokumentation „Gerhard Schröder - Schlage die Trommel“ zeigt das Leben des SPD-Politikers aus einfachen Verhältnissen bis zum Aufstieg zur Macht und seinen Aktivitäten als Alt-Kanzler.
Das romantische Drama „Liebesfilm“ im ZDF ist dem Titel zum Trotz kein „Herzkino“, sondern eine etwas sperrige Geschichte über einen Berliner Tagträumer, der die große Liebe findet.
Arte zeigt die Dokumentation „Hotel-Legenden: Das Adlon in Berlin“ als ersten Teil einer Reihe von vier weltbekannten Hotels, die nicht nur durch ihre luxuriöse Aufmachung bekannt geworden sind.