Anne Will (ARD): Christian Lindner kuschelt sich auf einmal an Robert Habeck ran

Anne Will stellt im ARD-Polittalk die Frage: Noch eine Woche bis zur Bundestagswahl – was ist uns das Klima wert?
Berlin - Katastrophale Überflutungen nach Dauerregenfällen, vertrocknende Ernten in Dürreperioden und Stürme von zerstörerischer Kraft: Der Klimawandel ist auch in Deutschland inzwischen schmerzhaft spürbar und könnte das Thema sein, das am kommenden Sonntag bei der Bundestagswahl 2021 wahlentscheidend sein wird. Entsprechend hoch her geht es diesmal in Anne Wills Polit-Talkshow (ARD), wenn sich die Parteispitzenleute von SPD, CDU, Grünen und FDP sowie die Journalistin Cerstin Gammelin einen verbalen Schlagabtausch im Studio liefern.
Inhaltlich ergiebig ist das alles allerdings leider nur selten, vor allem dann nicht, wenn sich sämtliche Diskussionsteilnehmer:innen – die Moderatorin eingeschlossen – regelmäßig ins Wort fallen. Manches ist akustisch kaum zu verstehen, und dem Gespräch zu folgen, wird immer wieder zur Hör- und Geduldsprobe. Cerstin Gammelin von der Süddeutschen Zeitung nimmt zwischendurch zumindest kein Blatt vor den Mund: Die Wahlprogramme der Parteien passten mit ihrer büro- und technokratischen Herangehensweise allesamt nicht zur drängenden Realität und fassten Klimaschutz als Rechenaufgabe auf, so die Journalistin.
Anne Will (ARD): Vor der Bundestagswahl kommen sich Grüne und FDP näher
In Wahrheit sei dieser aber nun mal nur mit viel Geld und zahlreichen Veränderungen im Lebensstil aller Menschen zu erreichen. Das müsse man transparent machen und viel mehr auf gesellschaftlichen Konsens setzen, sowie auf eine europaweite Verständigung ergänzend zur deutschen Strategie, wenn man nicht scheitern wolle. Die überraschendste Erkenntnis im allgemeinen Stimmengewirr: Die Grünen und die FDP sind sich in deutlich mehr Klimaschutz-Punkten näher als angenommen.
Bei CDU und SPD gibt es erwartbarere Schnittmengen, wenngleich die grob skizzierten Wege zum Ziel teilweise verschieden sind. Einigkeit besteht parteiübergreifend dahingehend, dass die deutsche Politik unbedingt schneller werden muss: Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Bau neuer und moderner Windräder, Solaranlagen oder Stromleitungen sollen entschlackt werden und dürfen sich nicht mehr über Jahre hinziehen, wenn man in Sachen Klimaschutz vorankommen will. Ein Lippenbekenntnis, das man so schon oft und für viele andere Bereiche gehört hat, dem aber selten Taten folgen.
Robert Habeck beschwört bei Anne Will (ARD) gesellschaftliche Dynamiken
Für Christian Lindner steht ein Wechsel in ein anderes Wirtschaftsmodell, das Wohlstand und Wachstum mit der Schonung der natürlichen Lebensgrundlage verbindet, ganz weit oben auf der Agenda. Er stellt die Frage: Wer, wenn nicht Deutschland, kann es durch wissenschaftlichen Fortschritt schaffen, zu zeigen, dass sich Wirtschaftswachstum und Klimaschutz nicht ausschließen, sondern ergänzen können? Bisher dafür verantwortlich seien allerdings vor allem private Investoren, die den Klimaschutz in ihre Firmenphilosophien aufgenommen hätten.
Damit dies weiter gefördert werde, seien Steuererhöhungen der falsche Weg. Außerdem, so der FDP-Chef, solle man die Gelegenheit nutzen, dass Deutschland im nächsten Jahr die G7-Präsidentschaft innehabe – alle Mitglieder müssten dann dazu motiviert werden, im Bereich der Klimapolitik an einem Strang zu ziehen und zusammenzuarbeiten.
Gäste bei Anne Will | Funktion |
Volker Bouffier | stellvertretender CDU-Parteivorsitzender |
Saskia Esken | SPD-Parteivorsitzende |
Robert Habeck | Grünen-Parteivorsitzender |
Christian Lindner | FDP-Parteivorsitzender |
Cerstin Gammelin | stellvertretende Leiterin des Parlamentsbüros der SZ |
Robert Habeck macht sich indes dafür stark, dass Maßnahmen beschlossen werden, mit denen am Ende konkrete CO2-Minderungsziele erreicht werden. Dafür seien auch Investitionen durch die öffentliche Hand erforderlich, um der Wirtschaft ebenso wie Privatpersonen einen abgesicherten Weg in die Klimaneutralität zu ebnen. Zudem betont er noch einmal die Position der Grünen, möglichst schnell möglichst viele Kohlekraftwerke abzuschalten, da diese nun einmal die Hauptverursacher für CO2-Emissionen und damit für die Erderwärmung seien.
E-Fuel- und Wasserstoff-Lösungen, von FDP und CDU immer gerne als Heilsbringer bemüht, könnten nur durch immensen Energieaufwand und deshalb nur in geringer Menge hergestellt werden, weshalb sie zwar in der chemischen Industrie oder in schweren Antrieben, nicht aber im Alltagsgebrauch eingesetzt werden könnten. Die Leistungsfähigkeit anderer neuer und sauberer Technologien werde sich jedoch schnell steigern und ungeahnte gesellschaftliche Dynamiken und wirtschaftliche Kräfte freisetzen.
Anne Will (ARD): Volker Bouffier würdigt die Verdienste der CDU
Volker Bouffier hält sich die ersten zwanzig Minuten von Anne Will (ARD) bedeckt, legt dann aber los. Ihm ist es vor allem wichtig, die alten Klimaschutz-Leistungen seiner Partei nicht zu schmälern. So führt er aus, dass in Deutschland der CO2-Ausstoß in den letzten dreißig Jahren um 42 Prozent gesenkt wurde, während gleichzeitig die Wirtschaftskraft um fast fünfzig Prozent gestiegen sei. Das Credo der CDU sei es, klimaschädliche Ausstöße nachhaltig zu reduzieren und gleichzeitig Arbeitsplätze und Wohlstand zu erhalten – andernfalls würden für den Klimawandel unverzichtbare große Länder wie Russland, China oder Indien sich gar nicht erst auf denselben Weg begeben.
Auch werde man nicht erfolgreich sein, wenn die Wählerinnen und Wähler übergangen würden und „nicht mitkämen“. Schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren seien unabdingbar, um etwa durch Windenergie erzeugten Strom effizient von Nord nach Süd zu bekommen. Auf Wills Frage, wieso diese unter CDU-Führung nicht schon längst beschleunigt worden seien, verweist er – man kennt es bereits – auf unterschiedliche Bund- und Länderkompetenzen.
Saskia Esken hat bei Anne Will (ARD) wenig zu sagen
Kaum zu Wort kommt bei alledem Saskia Esken. Sie hat unter den langen Ausführungen und manchem Zwischengrätschen ihrer männlichen Kollegen zu leiden. Nur selten schafft sie es, sich Gehör zu verschaffen und erhält die mit Abstand geringste Redezeit der Sendung – woran auch die Moderatorin nicht unschuldig ist, die ihr nur wenige Fragen stellt und erst viel zu spät, gegen Ende der Show, intervenierend zur Seite springt.
Ausgerechnet mit Volker Bouffier, der sie beharrlich „Frau Eskens“ nennt und zuletzt das Gespräch an sich reißt, ist die SPD-Vorsitzende häufiger auf einer Klima-Linie: Auch sie ist der Ansicht, dass in der Bevölkerung noch mehr Akzeptanz für den Kohleausstieg geschaffen werden müsse. Beim Stichwort „beschleunigte Verfahren“ solle man Bürgerbeteiligungen früher ansetzen und Planungsverfahren parallelisieren, wozu auch mehr Digitalisierung einiges beitragen könne. Und: sollten gesetzte Ziele nicht erreicht werden, könne und müsse nachgeschärft werden.
Anne Will (ARD): Vieles bleibt ungesagt zum Thema Klima
Vieles bleibt in dieser Ausgabe von Anne Will (ARD) vage, ungesagt oder unhörbar. Sollte sich das auf die zukünftige Klimapolitik der Parteien übertragen lassen, könnte die wütende Antwort der jungen Generation darauf ebenso verheerend sein, wie deren mögliche Zukunft. (Peter Hoch)
Während bei Anne Will (ARD) die Parteispitzen diskutierten, lieferten sich Annalena Baerbock (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU) im Triell (Sat 1) einen Schlagabtausch.