Der Alptraum ihrer Wahl

Ein vierteiliger Arte-Thriller erzählt eine spannende Geschichte vor exotischer Kulisse, jedoch mit unangenehmem Beigeschmack.
Alle erdenklichen Muster der Kriminalgeschichte scheinen durchgespielt, bis hin zum Verschnitt mit benachbarten Genres. Mit der Wahl exotischer Schauplätze allerdings lassen sich noch Distinktionsgewinne erzielen. Ein Mord in der australischen Wüste macht mehr her als ein Leichenfund auf emsländischem Torfboden. Noch weitgehend unbefleckt auf der Karte fiktionaler Tatorte ist Französisch-Guayana. Im offiziellen Sprachgebrauch ein „Überseedépartement“, beschönigend für Kolonie. In die Literatur eingegangen durch Henri Charrières hie und da wohl auch autobiografischen Bestseller „Papillon“. Skurril genug: Brasilien liegt gleich nebenan, aber hier ist noch Europa. Man zahlt mit dem Euro.
Chloé Bresson (Stéphane Caillard) wird in die französische Exklave strafversetzt. Wofür sie büssen soll, bleibt vorerst offen. Es kann kein geringes Vergehen gewesen sein. Denn auf sie wartet das Fegefeuer. Unterwegs zu ihrer Dienststelle, hat Bresson eine Panne. Mitten im Nirgendwo, umgeben von Dschungel, aus dem beängstigende Tiergeräusche zu hören sind.
Sie erreicht die Polizeistation mit Verspätung, der Leiter ist schon weg, die Wachhabenden weigern sich standhaft, ihn nach Feierabend zu stören. Bresson muss auf einer Pritsche in einer Zelle übernachten. In einer Einstellung sieht die Kamera von oberhalb des Ventilators auf sie hinab. Eine Anspielung auf Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“. Kein angeberischer Manierismus, sondern ein sinnhaltiger Hinweis.
Ein scheußlicher Mord
Kaum im Dienst, wird Bresson zu einem Einsatz beordert, im Gespann mit dem einheimischen Ermittler Joseph Dialo (Adama Niane). Auf dem Maroni schaukelt eine verlassene Yacht. Die Leichen der Besitzer, ein französisches Ehepaar, hängen in der Takelage. Der kleine Sohn der beiden ist verschwunden. So wie vor ihm schon viele andere kleine Kinder.
Die Ermittlungen führen Dialo und Bresson zu den Maroons, Nachfahren afrikanischstämmiger Sklaven, die den Franzosen mit Ablehnung, teils offener Feindschaft begegnen. Dialo konnte mit der Zeit eine Art Arbeitsverhältnis aufbauen. Das Misstrauen ist geblieben, aber er wird immerhin zum Kapitän, den Häuptling der kleinen Gemeinschaft, vorgelassen. Bresson muss draußen bleiben. Das hält sie nicht lange aus, platzt in die Gespräche, begeht einen Affront, als sie einen jugendlichen Zeugen festnimmt und auf die Dienststelle bringt. Kein guter Auftakt.
Sie wird dazulernen. Die Ermittlungen machen sie mit den Mythologien der Waldmenschen bekannt, mit befremdlichen, Voodoo-artigen Riten. Bei einem Einsatz wird sie verletzt, nicht allein Grund für ihre zunehmend fiebrige Wahrnehmung. Sie blickt auf eine Psychose zurück, traumatische Erfahrungen schwären noch, bestimmte Ereignisse rufen Erinnerungen wach, sie selbst stellt ihr Urteilsvermögen in Frage. Auch der persönlich tief in den Fall verstrickte Dialo muss sich fragen, ob er die Realitätsebene nicht schon verlassen hat.
Fragwürdiges Spiel mit der Angst
„Die Geister des Flusses“ ist unverkennbar inspiriert von Joseph Conrads Novelle „Herz der Finsternis“, die bereits Coppolas „Apocalypse Now“ als Vorlage diente. Ein dem Vierteiler vorangestelltes Conrad-Zitat diente dem auch als Romancier hervorgetretenen Autor Aurélien Molas und Regisseur Olivier Abbou offenbar als Maxime: „Es stand geschrieben, ich solle dem Alptraum meiner Wahl treubleiben.“
Das Publikum sollte demnach keine klassische Krimiauflösung erwarten. Ab der dritten Episode driftet die bis dahin sehr findig umgesetzte Erzählung immer weiter ins Mystische. Die Autoren finden großen Gefallen am schwülen, unheilschwangeren Klima und an psychedelisch aufgeheizten okkulten Ritualen wie einer in Folge vier breit ausgemalten orgiastischen Erweckungsfeier. Wenig appetitlich und verbunden mit Grausamkeiten gegen Mensch und Tier.
Ein brisanter Unterschied: Bei Conrad und Coppola gehen die Bestialitäten unmittelbar auf Europäer beziehungsweise US-Amerikaner zurück. Bei Molas und Abbou hingegen werden sie den Waldmenschen zugeschrieben. Das aus Europäeraugen Fremde ist hier grundsätzlich gefährlich, mörderisch, unmenschlich – jede Angst demnach berechtigt. Zur Rettung bedarf es der westlichen Zivilisation in Gestalt der Französin Chloé Bresson, aus deren unausgewogener Perspektive das Geschehen erzählt wird. Eine vielleicht unbedachte, trivialen Mustern folgende, jedenfalls unselige Darstellung, weil unangenehm nah an jenem fragwürdigen kolonialistischen Zerrbild, das einst die indigenen Völker Afrikas und Lateinamerikas in die Nähe von Tieren rückte und als Legitimation für massenhafte Morde diente.