1. Startseite
  2. Kultur
  3. TV & Kino

„37 Grad: Jede Anstrengung ist zu viel“: Am Ende aller Kräfte

Erstellt:

Von: Tilmann P. Gangloff

Kommentare

„37°: Jede Anstrengung ist zu viel - Diagnose: Chronisches Fatigue Syndrom“: Pauline liegt auf dem Sofa und trägt eine Kühlhaube auf dem Kopf.
Pauline kann an ihr bisheriges aktiven Leben nicht mehr teilnehmen. Die meisten Tage verbringt sie auf der Couch oder im Bett und muss so das Leben einer jungen Erwachsenen an sich vorbeiziehen lassen. © ZDF/Ralf Schweinböck

Die Reportage stellt Menschen vor, die unter dem Chronischen Erschöpfungssyndrom leiden.

Frankfurt - Diese Erfahrung hat jeder Mensch schon mal gemacht: Der Tag beginnt völlig kraftlos, selbst der Gang ins zur Toilette stellt eine Überforderung dar; alle Glieder schmerzen, der Kopf scheint platzen zu wollen. Für die meisten ist dieser kaum erträgliche Zustand eine vorübergehende Erscheinung, für manche jedoch nicht: Allein in Deutschland leiden rund 300.000 Personen unter dem Chronischen Erschöpfungssyndrom, abgekürzt CFS.

Anders als eine Erkältung endet diese Krankheit nicht nach wenigen Tagen oder, im Fall einer Grippe, spätestens nach einigen Wochen; CFS zieht sich über Jahre hin. Viel zu lang hat sich die Medizin nicht näher mit dem Phänomen befasst. Zumindest in dieser Hinsicht hatte die Corona-Pandemie ihr Gutes: Weil viele Infizierte unter Spät- und Langzeitfolgen („Long Covid“) leiden, die mit den CFS-Symptomen weitgehend identisch sind, wird die Krankheit endlich erforscht. CFS, in der Fachsprache eine „chronische Multisystemerkrankung“, tritt ebenfalls nach einer Virusinfektion auf.

ZDF-Reportage schildert, wie die Krankheit Menschen aus dem Leben reißt

Das klingt wie ein Thema für ein Gesundheitsmagazin, aber die ZDF-Sendung „37 Grad“ ist bekannt dafür, sich auch mit solchen Aspekten zu befassen; allerdings zumeist aus einer sozialen Perspektive, weil die entsprechenden Beiträge Verständnis wecken und für Toleranz werben sollen. Max Rachals und Andrea Wörle wollen das mit ihrem Film „Jede Anstrengung ist zu viel“ natürlich ebenfalls erreichen, aber medizinische Details stehen diesmal stärker als sonst im Vordergrund. Trotzdem geht es vor allem um die Betroffenen. Nachdrücklich schildert die Reportage, wie die Krankheit zweier Frauen und einen Mann aus dem Leben gerissen hat.

Barbara (44) ist bereits 2005 an CFS erkrankt, doch erst zwölf Jahre später konnte das Rätsel ihrer Symptome gelöst werden. Die zweifache Mutter hat morgens immerhin genug Kraft, um gelegentlich in der Ostsee zu schwimmen oder sich alternativen Therapien zu unterziehen. Da deren Wirkung wissenschaftlich noch nicht erwiesen ist, muss sie in der Regel selbst bezahlen. Pauline ist 19, lebt bei ihrer Familie und versucht mithilfe einer pensionierten Lehrerin, ihr Abitur nachzuholen; nach ein bis zwei Stunden Unterricht verlassen sie die Kräfte. Ältere Videofilme zeigen einen sportlichen Teenager voller Energie; damit war es im Frühjahr 2021 vorbei.

Am erschütterndsten sind die Besuche bei Martin, 34. Der Vater ist Rentner, hat aber nun wieder einen Vollzeitjob: Seit 2019 verbringt sein Sohn den Alltag mehr oder weniger im Bett. Wenn es ihm gut geht, kann er normal sprechen, aber meist bringt er bloß ein Flüstern zustande. Erste Symptome hatte er bereits vor zehn Jahren. Trotz eines permanenten Grippegefühls konnte der damalige Jurastudent noch ein erstes Examen absolvieren, dann erwischte ihn ein zweiter Infekt. Dennoch hat er in dieser Zeit übers Internet eine Freundin gefunden, die seinetwegen von Hamburg nach Gütersloh umgezogen ist; für ihn ist das wie ein Wunder.

Gefühle spielen in „37 Grad“ grundsätzlich eine große Rolle

Dass diese drei Fallbeispiele sehr emotional und entsprechend berührend sind, versteht sich von selbst; Gefühle spielen in „37 Grad“ grundsätzlich eine große Rolle. Über weite Strecken verhalten sich die drei Kameraleute angemessen diskret. Bei Pauline gibt es allerdings einen Wechsel in die Nahaufnahme, als sie erzählt, dass sich ihre Freunde von früher nicht mehr melden. Sie ist hörbar kurz davor, in Tränen auszubrechen. Kameraleute sind darauf trainiert, sich solche Momente nicht entgehen zu lassen, was gerade in diesem Kontext prompt übergriffig wirkt. Dabei ist es den Mitwirkenden gar nicht hoch genug anzurechnen, dass sie sich für die Sendung zur Verfügung gestellt haben. Gleiches gilt für ihre Familienmitglieder, die ebenfalls berichten, wie sie mit der Krankheit in ihrer Mitte umgehen.

Der unbestreitbare Mehrwert der Reportage liegt darin, CFS bekannt zu machen. Lange Zeit wurden die chronische Erschöpfung und die damit einhergehende Belastungsintoleranz für eine psychische Erkrankung gehalten. Pauline erzählt, eine Freundin habe ihr geraten, einfach mal einen Energy-Drink zu sich zu nehmen. Dank ihrer Beschreibung der massiven Kopfschmerzen, mit denen sie morgens aufwacht, lässt sich zumindest nachvollziehen, wie es ihr Tag für Tag ergeht: „wie wenn da jemand einen Basketball gegen meine Stirn knallen würden“. Von innen, wohlgemerkt, und zwar wieder und wieder. Martin spricht von „Höllenqualen“, die selbst ein simpler Vorgang wie das Schlucken auslöse. Er hat eine Initiative gegründet und sammelt Spenden, um die CFS-Studien zu unterstützen. Paulines großer Traum ist ein Medikament, das den Alltag zumindest ein bisschen erleichtert. (Tilmann P. Gangloff)

 „37 Grad: Jede Anstrengung ist zu viel“, 4. April, ZDF, 22.15 Uhr, Mediathek

Auch interessant

Kommentare