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Wiederfinden

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Von: Sylvia Staude

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Sich wiederfinden? Als gäbe es nicht in dieser Pandemie nicht genügend Möglichkeit, sich zu langweilen mit sich selbst.
Sich wiederfinden? Als gäbe es in dieser Pandemie nicht genügend Möglichkeit, sich zu langweilen mit sich selbst. © Imago

Soll man sich ausgerechnet im Museum wiederfinden, wie Klaus Lederer meint? Ist dafür nicht zuhause auf der Couch derzeit mehr als genug Gelegenheit?

Irgendwann waren sowohl Gastgeberin S. als auch Gast B. nur noch hauchfein davon entfernt, den Sicherheitsdienst des Museums zu alarmieren. Oder lieber gleich die Polizei? Denn es geschah in einer so großen wie vollen Ausstellung – es handelte sich um eine Zeit, in der noch jeder jedem seinen heißen Atem in den Kragen husten und jede jeder auf die Füße steigen durfte –, es geschah also, dass S. und B. sich verloren hatten, dass sie irgendwann glaubten, sich suchen zu müssen, obwohl es besser gewesen wäre, einfach stillzusitzen. Aber wenn beide stillsaßen, was dann? Jedenfalls hatte sich B. bereits bei einem Angestellten des Museums erkundigt, ob man S. nicht ausrufen könne. Während S. darüber nachdachte, alle Toiletten zu kontrollieren, denn konnte B. nicht ein Unwohlsein empfunden haben? Das Wiederfinden hinterließ beinah einen größeren Eindruck als die Werke des großen Vincent van Gogh.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer sprach just über die Notwendigkeit, Museen einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Wir wollen hingegen hier nicht davon sprechen, dass kein Intendant und keine Museumschefin heute den Job antreten kann ohne das Bekenntnis, ihre Häuser zu öffnen, in die Stadt zu gehen, dem Publikum festen Schritts entgegen – und es dann „mitzunehmen“.

Klaus Lederer aber sagte auch: „Ich gehe nur dann dahin, wenn ich das Gefühl habe, dass ich mich selber in diesen Einrichtungen wiederfinde.“ Und er sprach sicherlich nicht über zu volle Ausstellungen und ihr glückliches Wieder-Verlassen.

Sich wiederfinden bei van Gogh oder Rembrandt, bei Lear oder Lohengrin? Ausgerechnet sich selbst? Als käme man nicht gerade da draußen sehr gut ohne sich aus, als gäbe es nicht seit Corona schon viel zu viel Zeit, sich selbst wiederzufinden. Als hätte man nicht vielmehr Lust, sich zu verlegen, im Leben anderer zu verlieren. Als gäbe es nicht in dieser Pandemie ein allzu üppiges Maß Zeit, an sich herabzusehen, wie man da auf der Couch hockt, Bauch und Rücken rund wie ein Fragezeichen. Als gebe es nicht genügend Möglichkeit, sich zu langweilen mit sich selbst.

Das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung untersucht indessen, wie man Menschen ins Museum locken kann, und möchte im Sommer Ergebnisse vorlegen. Aber eine Erkenntnis gibt es bereits: „Für drei Viertel sei der freie Eintritt Anstoß gewesen, an diesem Tag ins Museum zu kommen. Der Großteil habe das Museum am eintrittsfreien Tag zum ersten Mal besucht.“ Offen geblieben ist, wie groß der Anteil jener war, die sich dort wiedergefunden haben, mit keinem Cent weniger in der Brieftasche.

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