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Verlustanzeige

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Von: Judith von Sternburg

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Verzweifelt gesucht, schmerzlich vermisst: Ein Becher mit dem Emblem des Teatro La Fenice.
Verzweifelt gesucht, schmerzlich vermisst: Ein Becher mit diesem Emblem des Teatro La Fenice. Wer kann sachdienliche Hinweise auf den Verbleib geben? © Imago

Ein Becher ist verschwunden. Es gibt Schlimmeres, klar. Aber traurig ist es doch.

Früh lehrte man uns alle – und zu Recht –, unser Herz nicht an irdisches Gut zu hängen. Diese Lehre bezog sich gar nicht so sehr auf die Ewigkeit, in die z. B. der Jedermann seine Ersparnisse zu seinem Leidwesen und seiner Überraschung nicht mitschleppen kann (aber ich meine: was hat er denn gedacht? Ist bei dem Reli immer ausgefallen?). Der Jedermann: ohnehin eine Figur, mit der nicht jede Teenagerin etwas anfangen kann. Zu abstrakt die Ewigkeit, zu plastisch dagegen der Geldspeicher von Onkel Dagobert, dessen offensichtlich ewiges Leben zu irdisch ist, um anderes zu fürchten als die Panzerknacker.

Denn, und darum soll es nun gehen, auch im Hier und Jetzt sind allem Anschein und aller Erfahrung nach die Verluste im Einzelnen hoch. Gegenstände sind zu fragil für diese harte Welt. Reden wir aber dabei bitte einmal 85 Zeilen lang nicht von der Zerstörungswucht angezettelter Krieg und aufgebrachter Natur, reden wir kurz über den friedfertigen Alltag. Es zeigt sich dabei, dass Anschein und Erfahrung durchaus täuschen. Jeder weiß es eigentlich, der einmal eine Wohnung ausgeräumt hat. Oder einen Schrank. Oder eine Schublade. Oder ein Krimskramskästchen.

Auffallender jedoch naturgemäß immer die Verluste und lang die Klage. Hören wir kurz rein. Am längsten klagt die rüstige niederländische Mutter und Witwe Frau Marthe um den zerbrochnen Krug, Titelheld des Stückes von Heinrich von Kleist. Der Krug, ein Corpus delicti der Extraklasse, ist unwahrscheinlich reich illustriert, wie Frau Marthe ausführlich darlegt. Mit „unwahrscheinlich“ ist gemeint, dass hier etwas nicht stimmen kann. Einen solchen Krug kann sich nur ein Dichter ausdenken. Der Krug ist jedenfalls hin, der Hintergrund suspekt. Am zweitlängsten klagt der Pariser Philosoph Colline, um seinen Mantel, Titelheld der Mantelarie aus „La Bohème“. Der Mantel wird versetzt, aus noblem Anlass. Am kürzesten klagt die spanische Gärtnertochter Barbarina, um eine gewisse Nadel, die in den länglichen Schlussverstrickungen in „Figaros Hochzeit“ von Mozart eine Rolle spielt. Sie ist ihr im Gewimmel auf den Boden gefallen. Alles Unglück dieser Welt liegt in ihrem kleinen Song. Aber wer interessiert sich für das Unglück von Gärtnerstöchtern?

Der Verlust, bei dem man nicht weiß, wo der Gegenstand abgeblieben ist: Ist er der Schmerzlichste? Heute ist das gut vorstellbar. Denn der Becher ist vom Redaktionsschreibtisch verschwunden, der Becher aus Venedig, auf dem das Emblem des Teatro La Fenice abgedruckt ist. Diese Tasse wurde an einem glücklichen Abend im Shop dieses Theaters erworben. Sie hörte auf dem Schoß ihrer rabenstolzen Besitzerin also bereits die Vorstellung an. Seither geht sie mit ihr durch dick und dünn. Sie ist, wir deuten das hier nur zart an, der Besitzerin teuer.

Ja, es ist wahr, dies ist ein zweckentfremdeter Dreispalter. Dies ist eine Suchanzeige. Becher, melde dich! Dieb, schäme dich!

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