Vampir

Einst waren Vampire das Hinterletzte. Inzwischen schillert das Thema, auch auf der Theaterbühne.
„Zeigt eine sich gewogen, / So wird sie ausgesogen!“, Heinrich Marschner (Musik) / Wilhelm August Wohlbrück (Text): „Der Vampyr“
Wer so furchtsam ist, dass er jenseits der geschmackssicheren Produktion „Only Lovers Left Alive“ mit Tilda Swinton fast keinen Vampirfilm gesehen hat – das heißt, außer „Tanz der Vampire“ (ohne hinzugucken), „Interview mit einem Vampir“ (weitgehend ohne hinzugucken) und natürlich „From Dusk Till Dawn“; wer also jenseits von „Only Lovers Left Alive“, „Tanz der Vampire“, „Interview mit einem Vampir“ und „From Dusk Till Dawn“ – ferner aus Versehen und wegen Jude Law „Die Weisheit der Krokodile“ und von Berufs wegen den Bremen-Vampir-Tatort „Blut“ – fast keinen Vampirfilm gesehen hat, kann hier kaum mitreden. Aber das hat uns noch nie gehindert.
Vampire sind traditionell das Hinterletzte. Man wird sie schwer los, aber es gibt Tricks. Aufgeklärte denken zuerst: was ein Humbug, dann gehen sie rasch rüber zum Gemüsestand. Vampire sind keine Frohnaturen. Zusammen mit ihrem blassen Teint wirkt das auf viele jetzt noch rotwangige Menschen anziehend. Wir Rotwangigen sind nicht die hellsten.
Seit es nicht mehr so eindeutig ist, dass Männer Frauen aussaugen, seit die King-Kong-Atmosphäre – ja, klar, King Kong meint es auch nicht böse, er liebt die kreischende Frau, mit der er am Hochhaus hochklettert – aufgelockert wurde, schillert das Thema. Heutzutage lesen wir im Programmheft zu Heinrich Marschners viel zu selten gespielter romantischer Oper „Der Vampyr“: „Wir verstehen den Vampir nicht als einen Straftäter im wörtlichen Sinne, dass er ein mordendes übersinnliches Ungeheuer ist“ (äh, als was denn sonst?), „sondern als Stellvertreter für eine gesellschaftlich geächtete Minderheit“ (ach so), „oder eine Person, die von der Mehrheit aufgrund von Ängsten, aber vielleicht auch von kulturellem Unverständnis und Unwissen als Bedrohung wahrgenommen und von dieser Mehrheit als sogenannter Vampir definiert ist“. Da hätte sich Dr. van Helsing kaputtgelacht, aber wir sind einfach weiter. Theoretisch. Praktisch kommt Regisseur Ersan Mondtag, der diese Sätze zu Protokoll gegeben hat, in Hannover nicht umhin, ein mordendes und halbwegs übersinnliches (sehr, sehr bleiches) Ungeheuer zu präsentieren.
Auch tritt – ganz anders, als es im Programmheft klang – der Außenseiter (und Vampirexperte) Lord Byron als Kabarett-Tunte auf. Vor der Kulisse der 1938 zerstörten Synagoge in der Bergstraße in Hannover treiben sich Zombies herum und verschleppen schlotternde Ministranten. Wie bitte? Selbstverständlich will jeder Blut, nein, Nektar saugen aus seinen Einfällen. Aber manchmal geht man ins Theater und wohnt zwischen Ideen und Ideechen auf einmal einer Entgleisung bei.