Tentakelbart

Die Künstliche Intelligenz hat wieder zugeschlagen: Diesmal macht sie ernst: Sie macht Kunst.
Kapitän Nemo stiert wie ein aufgescheuchtes Pferd. Mit schmerzhaft weit aufgerissenen Augen starrt er aus dem Bild heraus. Kein Wunder, diese Panik. Sein weißgrauer Rauschebart hat sich in Tentakel verwandelt, in richtige Oktopustentakel, die sich in alle Richtungen kräuseln, mindestens acht an der Zahl. Wenn sie wollten, diese noppigen Ärmchen, dann könnten sie jetzt dem Kapitän aus Jules Vernes „20 000 Meilen unter dem Meer“ in der Nase popeln - und seinem Gegenüber theoretisch auch, wenn es nah genug käme. Sie könnten gleichzeitig Nemos Ohren zuhalten und mit den restlichen Tentakeln seinen Kopf herumdrehen. Was keine schlechte Idee wäre, denn hinter dem Kapitän braut sich etwas zusammen. Etwas Monströses, das sich aus der rostigen Haut eines verformten Schiffsbauch ringelt …
Was soll der Quatsch, was ist das für ein zusammengewürfelter Nonsens?, denken Sie jetzt. Eine gute Frage, dieselbe stellt sich die Schreibende auch. Die Antwort lautet: „Kunst“. Oder etwas, das Kunst sein will, wenn wir von einem Willen sprechen können. Und auch das haben Sie vermutlich schon geahnt: Immer, wenn es in letzter Zeit um etwas Abgefahrenes geht, dann ist die KI im Spiel.
Die künstliche Intelligenz war diesmal als kunstschaffendes Etwas aktiv. Im Auftrag von zwei kleinen, aber nicht öffentlichkeitsscheuen Museen, die eine Ausstellung mit KI-generierten Bildern organisiert haben. 80 Werke sind zu sehen, bei denen die KI Barock, Surrealismus. Comic, Impressionismus und Abstraktion wild durcheinanderassoziiert. Motivisch ist’s ein ebenso willkürlicher Mix: Der Papst auf dem Skateboard, der Teufel in New York, ein Samurai mit einem Drachen. Kapitän Nemo: im Stil von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein gemischt mit Steampunkelementen, so in etwa steht’s in der Erklärung. Alles ist irgendwie Kunst.
„Wir haben der KI unsere Wünsche in Form von wenigen Stichpunkten mitgeteilt“, erklären die Kuratoren ihr Vorgehen. „Je nachdem, wie ihre Vorschläge uns dann gefielen, haben wir uns für einen entschieden oder weitere angefordert: genauso, wie es früher die adeligen Auftraggeber der großen Meister getan haben.“ Der „einzige Unterschied“ zu den Meistern: Die KI habe ein Bild nicht erst in Wochen, sondern in nur wenigen Minuten fertig. Das ist aber auch wirklich der einzige Unterschied ...