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Suppe

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Von: Stephan Hebel

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Tafelspitz oder Suppenfleisch? Zur Not gehen auch Frikadellen durch den Fleischwolf
Tafelspitz oder Suppenfleisch? Zur Not gehen auch Frikadellen durch den Fleischwolf © imago

Er konnte nicht beigelegt werden, der Konflikt um die Frage, ob Tafelspitz hinein gehört oder nicht.

Knapp hinter dem Kaffeehaus-Eingang senkte sich eine Geräuschschranke über den Weg zum Gastraum: „Wie machst du Fleischbrühe?“

Wie sich schnell herausstellte, hatte sich Stammgast R. mit Kaffeehausdirektor H. in einen Streit verwickelt über Tafelspitz und Suppenfleisch, genauer: deren Verwandtschaft beziehungsweise Unterschiedlichkeit sowie das rechte Verhältnis zwischen beiden in einer gelingenden Brühe.

Stammgast R., ein preisbewusster Feinschmecker, beschrieb das angemessene Verhältnis sozusagen mit eins zu null, in seinen Worten: „Suppenfleisch und Schluss“, nicht ohne der Klarstellung halber hinzuzufügen: „Natürlich nur, soweit es das Fleisch betrifft.“ Kaffeehausdirektor H., Feinschmecker ebenfalls, redete dagegen der Beifügung von Tafelspitz das Wort: „Für den Geschmack das Suppenfleisch, als Fleisch den Tafelspitz“, was die Umsitzenden nach kurzem Zögern so verstanden, dass der fertigen Suppe lediglich der Tafelspitz eingelegt werde, und so war es auch gemeint.

Der Konflikt konnte nicht endgültig beigelegt werden, auch durch telefonisches Googeln nicht, denn das ergab beide Möglichkeiten. Das Gespräch, das sich inzwischen durch das ganze Kaffeehaus ausgebreitet hatte, ergab allerdings, dass das Preisbewusstsein, ob sozial erzwungen oder freiwillig angewandt, durchaus auch die Geschmacksnerven prägen könne. Denn Suppenfleisch, so die gemeinsame Erkenntnis, sei nicht nur günstiger zu erwerben, sondern ergebe auch eine stärkere Suppe, und zwar wegen seines „hohen Anteils an Bindegewebe, Fett und Sehnen“ (Wikipedia).

Andererseits, so der Diskussionsverlauf weiter, sei das Suppenfleisch wegen seiner Beschaffenheit hinterher nicht so angenehm zu verzehren, wenn man „nicht auf Bindegewebe, Fett und Sehnen steht“, wie Stammgast S. rekapitulierte.

Das aber, so die am Ende wiederum erzielte Übereinstimmung, führe dazu, dass der preisbewusste Suppenfleisch-Nutzer sich über die Jahre seine Vorliebe für, zumindest aber eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber Bindegewebe, Fett und Sehnen sozusagen antrainiert habe, vor allem, wenn ihm die Alternative Tafelspitz von Kindesbeinen an unbekannt oder gar verwehrt geblieben sei.

Stammgast S. fügte noch hinzu, in der Suppe seiner Kindheit sei das Geschmack-Konsistenz-Dilemma dadurch gelöst worden, dass zwar nur Suppenfleisch genutzt, dieses aber dem fertigen Flüssiggericht nicht wieder beigegeben worden sei. „Fleischwolf, Frikadellen“, sagte S., und niemand redete mehr vom Tafelspitz. In der Suppe, so S., waren Nudeln.

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