Schule

Die einen fühlen sich animiert, die anderen abgetörnt. Warum Historiker Christopher Clark das Jahr 1848 erst nach der Schule lieben lernte. Die Kolumne „Times mager“.
Eigentlich ist man das ganze Leben lang damit beschäftigt, aufzuarbeiten, was man als Kind erlebt hat. Das ist zumindest die These Freuds. Was die Interessenfelder angeht, blickt man als Erwachsener nicht selten auf die eigene Schulzeit zurück – und findet da die ein oder andere Anregung von Lehrern oder Lehrerinnen, die pädagogisch etwas zu bieten hatten. Genauso ist es dem australischen Historiker Christopher Clark ergangen. Oder sagen wir besser: fast so.
Wie jeder und jede weiß, zählt Clark zu den originellen Köpfen der historischen Zunft. Was selbst Historiker wie den Bielefelder Hans-Ulrich Wehler erstaunte, war, wie schnell Clark die deutsche Sprache gelernt hatte, als er zwecks Studien- und Beziehungsaufenthalts in Berlin weilte. Da hatte er sein Faible für die deutsche Geschichte bereits entdeckt.
Man kennt die großen Werke, die er erst über Preußen, dann über die Juli-Krise 1914 verfasste. Das letztere Buch wurde zu einem Welterfolg: „Die Schlafwandler“, so der Titel, schien die Deutschen aus ihrem Schlummer wachzurütteln. Nach der Lektüre des Buches liefen so manche mit stolzgeschwellter Brust durch die Gegend. „Das lässt tief blicken“, notierte der Historiker Heinrich August Winkler angesichts des deutschen Wunsches, endlich die Schuld am Ausbruch des Krieges mehr auf den Schultern von Briten oder Russen sehen zu können. Clark betonte immer, es nicht so gemeint zu haben. Wie auch immer. Fest steht, dass er ein brillanter Kopf ist, wie es die ungarische Philosophin Agnes Heller nach einer Veranstaltung mit ihm formulierte. Sie war begeistert vom Tiefgang seiner Wortbeiträge (für einen deutschen Populärphilosophen, der ebenfalls an der Runde teilnahm, hatte sie übrigens kein gutes Wort übrig).
Clark jedenfalls hat ein neues Buch verfasst, das sich mit 1848 befasst. Und dass es erst jetzt erscheint, hat etwas mit seiner Schulzeit zu tun. Das Thema habe ihn in der Schule eher gelangweilt, weil die 48er ja mit dem Signum des Scheiterns versehen worden seien. Und so etwas bringe junge Menschen eher nicht dazu, sich mit solchem Stoff zu befassen. Aber irgendwann trat bei Clark die Wende ein, was den guten alten historischen Stoff angeht. Sein Buch „Revolutionary Spring. Fighting for a New World 1848-1849“ ist so dick wie das der Schlafwandler (und erscheint im Herbst auf Deutsch), die Begeisterung über die Zeiten in jeder Zeile zu spüren. Der überspringende Funke hatte ganz Europa in Feuer und Flamme für Freiheit und Demokratie versetzt. Die Welt sollte sich für immer ändern, auch wenn die Revolution scheiterte.
Für eine neue Welt kämpfen - nichts scheint heute aktueller zu sein.