Schreiben

Wovon träumt fast die Hälfte aller Deutschen? Von einem Eisbecher? Einer Reise auf die Malediven? Wir wissen nun: davon, ein Buch zu schreiben. Die Kolumne „Times mager“.
Zur Buchmesse in Leipzig kommt noch rasch die von einem Selfpublishing-Anbieter beauftragte Umfrage rein, nach der fast die Hälfte der Deutschen davon träumen, ein Buch zu schreiben. Wer von vielem träumt, aber nicht davon, ein Buch zu schreiben, wird sich darüber wundern, darf sich aber noch knapp in der Mehrheit fühlen. Erst recht als Frau. Etwas mehr Männer als Frauen gaben in der Umfrage an, davon zu träumen, ein Buch zu schreiben. Auch das: verblüffend. Man blickt so um sich und denkt, Männer träumen wie alle anderen auch von einem Abend auf dem Sofa, der Meisterschaft oder einer genialen Textnachricht auf Twitter. Stattdessen träumen sie davon, ein Buch zu schreiben.
Nun werden Sie fragen: Aber warum tun sie es dann nicht? Das ist eine wesentliche Frage. Ein Branchendienst für Medienschaffende verwies jetzt zum Beispiel auf Tipps zum Sachbuchschreiben. „Schon mal überlegt, ein Sachbuch zu schreiben?“, fragt der Dienst pfiffig und menschennah, denn, klar, wer hat das nicht schon einmal überlegt. Einmal und dann nie wieder. Das sei „Knochenarbeit“, bestätigt der Dienst und verweist auf das Buch von Leuten, die es offenbar geschafft haben, das vermaledeite Buch zu schreiben. Es ist doch eher ein Heft. Aber immerhin.
Für die Empfindsamen in der Redaktion ist es übrigens nicht schön, morgens einen solchen Vorschlag ins Postfach geknallt zu bekommen. Schon mal überlegt, ein Sachbuch zu schreiben? Schon mal dran gedacht, sich eine neue Beschäftigung zu suchen?
Kein Sachbuch, sondern einen Roman hat R. damals geschrieben. Nicht gewaltig, aber nicht schmal. Dass R. das höfliche Angebot, das Buch zu lesen, nach kurzer Bedenkzeit annahm, brachte einen in Verlegenheit. Privat und prinzipiell, denn gibt es nicht genug Bücher in einer Welt, in der es heißen sollte: schon mal dran gedacht, ein Buch zu lesen? Erst einmal also ein wenig auf Zeit gespielt. Dann zu lesen angefangen. Dann begriffen, dass R. ein gutes Buch geschrieben hatte. Ohne übertreiben zu wollen, verschwimmt es einem im Rückblick oft mit Julio Cortázars Roman „Die Gewinner“, und schon damals lag der Vergleich nahe. Julio Cortázar hat Bedeutenderes geschrieben, aber es ist eine Hammervorstellung, einen Roman zu schreiben, den irgendeine Bekannte mit irgendeinem Buch von Julio Cortázar in einem Atemzug nennt. R. war aber gelassen, er kannte den Autor nicht, er las nicht so viel.
Ein Verlag fand sich nicht, obwohl R. wohl Anläufe nahm. Dennoch ein Triumph. R. hat nicht auf dem Sofa gelegen und einmal im Jahr an einer Umfrage teilgenommen und sich dann wieder aufs Sofa gelegt.