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Durch geduldiges Knipsen und Drehen konnte das Ausland angezapft werden.
Durch geduldiges Knipsen und Drehen konnte das Ausland angezapft werden. © imago/AGB Photo

Die Mitteilung, wer den Leipziger Buchpreis erhalten wird, übernimmt ein Medium, das traditionell vom Wort lebt.

Auch für die Generation nach dem Magischen Auge war der Radioapparat geheimnisvoll. Im Krankheitsfall stand er zur freien Verfügung – anders als der weit verlockendere Fernseher, in den späten Siebzigern allerdings noch ohne Vormittagsprogramm (nein, nicht in den späten 1870ern, die 1970er sind gemeint). Der Radioapparat wurde sogar dicht ans Bett gerückt. Nach ausführlichem Anhören von „Dein ist mein ganzes Herz“, „Man nennt mich jetzt Mimi“ sowie „Schöne Nacht, du Liebesnacht, oh stihille mein Verlangen“ versorgt (durch die Zusammenhanglosigkeit alles erst recht rasend interessant), konnte durch geduldiges Knipsen und Drehen das Ausland angezapft werden. Gewisper in unerhörten Sprachen, und das mit dem unbegreiflichen Gefühl, dass es irgendwo Menschen gab, die genau das und nur das verstanden.

Die Nachricht, dass die Preise der abgesagten Leipziger Buchmesse am Donnerstagmorgen über das Radio mitgeteilt werden, war auch insofern nicht nur erfreulich, sie löste sogar euphorische Gefühle aus. Das hatte – neben der Tatsache, dass dieser Teil der bösen Geschichte überhaupt ein gutes Ende nimmt – zwei Gründe. Der Hauptgrund war, dass die klugen Veranstalter das Wort Radio in den Mittelpunkt ihrer Mitteilung gestellt haben. Der Gedanke, sich am Donnerstagmorgen vor dem Radio zu versammeln, um zu erfahren, wer gewonnen hat, ist fantastisch, weit fantastischer, als auf den E-Mail-Eingang, die Eilmeldungen der Agenturen oder auf eine wackelige Übertragung aus Stockholm zu starren. Nicht ganz so gut natürlich, wie im Gedränge auf der Leipziger Buchmesse in sehr weiter Entfernung vor Glück quietschende Menschen zu sehen / zu erahnen, das wirklich nicht. Aber um ein Radio zu sitzen wie die Waltons verspricht gute Laune und Konzentration, man kann auch im Raum hin- und hergehen oder in einer Illustrierten blättern, ohne etwas zu verpassen.

Der zweite Grund: Es klingt nach Abwechslung, einmal die (verständlichen, sympathischen) Rituale des Ausdrucks von Glück zu überspringen.

Nein, die Wirkung wäre nicht so groß gewesen, wenn in der Mitteilung direkt gestanden hätte, dass die Preise der abgesagten Leipziger Buchmesse am Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk Kultur verkündet werden. Das ist der Sender, der den Zuschlag erhalten hat. Unter uns gesagt, hören wir ohnehin andauernd Deutschlandfunk Kultur, sehr praktisch über das Smartphone. Letztlich wird es auch am Donnerstag darauf hinauslaufen. Wie schade.

Das gleichnamige Radio, das auf dem Umschlag von Lutz Seilers nominiertem Roman „Stern 111“ zu sehen ist, käme dem Ideal übrigens nah. Es handelt sich aber um vollendete Vergangenheit.

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