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Times mager
Pausenlos
- vonJudith von Sternburgschließen
Die Konzertpause wegzulassen, war vor einem Jahr noch ein origineller Vorschlag.
Die Pause im Konzert ist immer etwas Lästiges gewesen, das stimmt schon. Man trifft Menschen und ist unsicher, um wen es sich handelt. Es wäre gut, etwas Kluges über den bisherigen Verlauf zu sagen, aber was nur, was. Drinnen ist es zu warm, draußen ist es zu kalt. Man wird müde, hat Durst, stellt fest, dass der beste Teil des Programms hinter einem liegt und jetzt Sibelius kommt. Immer schon die Leute beneidet, die nun knallhart, nein, lässig locker ihrer Wege gehen.
Der englische Pianist Stephen Hough schlägt in seinem Musikbuch „Rough Ideas“ hingegen beiläufig vor, man könne in Konzerten doch die Pausen weglassen. Es sei besser für die Konzentration auf dem Podium wie auch im Publikum, es lockere zudem eine Gewohnheit auf, die wirklich nur eine Gewohnheit sei. Da in einer Oper umgebaut und den großen Partien Erholung ermöglicht werden müsse, liege die Sache dort anders. Im Konzert könne eine kürzere Programmdauer von 60 bis 80 Minuten ein bekömmliches Abweichen von allzu vertrauten Pfaden mit sich bringen. So sei daran zu denken, so Hough, mehrere Konzerte nacheinander anzubieten, um abwechslungsreiche Uhrzeiten. Die Programme könnten sich, damit es den Musizierenden nicht langweilig werde, ein wenig voneinander unterscheiden. Und das Publikum entscheide selbst, ob es vor oder nach dem Konzert ins angeschlossene Restaurant gehe, wo für die Wirtsleute lukrativ in Schichten gespeist werde. Eine sinnvolle Alternative zum Pausengedränge an der Theke.
Aber da stimmt doch etwas nicht. Und tatsächlich machte Hough seinen Vorschlag bereits im vergangenen Jahr. Jetzt, für sein Buch mit einem Royal Philharmonic Society Award geehrt, bekräftigte er ihn bloß noch einmal. Im Herbst 2019 klang das sicher fabelhaft originell und irgendwie kühn. Vermutlich entstand beim Lesen allerdings auch der Eindruck: Jaja, aber andererseits, warum sollte man das tun, wenn man auch einfach wie immer ein längeres Konzert veranstalten und in der Pause Getränke verkaufen kann. Im Herbst 2020 klang es zuerst verheißungsvoll und pragmatisch, dann hatte man sich daran gewöhnt, dann wäre es wirklich besser gewesen als nichts, aber es war nichts mehr.
Unterdessen wächst bei allem Respekt vor Stephen Houghs Anregung ein ganz anderes, unerwartetes Bedürfnis heran: Es ist die Sehnsucht nach einer langweiligen, viel zu langen Pause in einem überfüllten Foyer, und draußen regnet es, und man belagert mit zweihundert Leuten die Theke, und wenn man drei Minuten vor dem Klingelzeichen an der Reihe ist, bestellt man sich zum allerersten Mal in einer Konzertpause ein Bier. Wie konnte es nur so weit mit uns kommen?