Offen

Was bringen eigentlich die Döpfner-Enthüllungen? Werden sich Politiker und Politikerinnen nun nicht mehr von der Springer-Presse interviewen lassen? Die Kolumne „Times mager“.
Kollege S. war am Kiosk vorbeigelaufen. Vor dem Kiosk stand ein Aufsteller, darin befestigt ein Plakat und auf dem Plakat die Schlagzeile „Transfrau gegen Gendersprache“. Das sei an dem betreffenden Tag die Schlagzeile der „Bild“-Zeitung gewesen, die selbstverständlich den Zweck gehabt habe, der größten Feindin der Menschheit, nämlich eben der Gendersprache, ein für alle Mal den Garaus zu machen.
Was, fuhr Kollege S. fort, natürlich nicht besser gelingen könne als mit einer Kronzeugin, die ja als Transfrau des Genderns eigentlich verdächtigt werden müsste, sich aber nun held:innenhaft auf die Seite der echten Männer und Frauen bei „Bild“ geschlagen habe. In Kürze zu erwarten seien weitere Schlagzeilen nach diesem Modell, etwa „Radfahrer fordert Autobahnbau“, „Ökobauer kämpft für Atomkraftwerk“, „Klimaaktivistin heizt WG-Zimmer mit Kohle“ oder „Döpfner fordert Qualitätsjournalismus“. Ja, die feine Dialektik des Boulevards.
A propos Döpfner, bemerkte Kollege S. fröhlich, der Springer-Mann habe ja für ordentlich Wirbel gesorgt, aber das – nun S. sehr ernst – sei doch auch ein bisschen verwunderlich. Denn was habe Mathias Döpfner in den nun aufgedeckten Chats eigentlich getan? S. zitierte: Menschengruppen pauschal diffamieren (Ossis im vorliegenden Fall, aber auch beispielsweise Transfrauen sollten sich da nicht allzu sicher fühlen), staatliche Regulierung als diktatorisches Teufelszeug verunglimpfen (Stichwort FDP), Klimawandel verharmlosen.
Sprich: Der Verleger, so S., habe den tragenden Säulen des „Journalismus“ von „Bild“ in offenherziger Weise Ausdruck verliehen. Gemessen daran, bemängelte S., sei die Aufregung über die Döpfner-Enthüllungen doch erstaunlich groß gewesen. Beziehungsweise umgekehrt: Tag für Tag bediene sich „Bild“ der Verblödungstechniken, die auch Döpfner in seinen nun geleakten Nachrichten verwendet habe, und dies geschehe, wie bei einer Zeitung kaum anders vorstellbar, in aller Öffentlichkeit, was aber, wie S. sich flapsig auszudrücken beliebte, „normalerweise niemanden juckt“. Mit anderen Worten: Huhuu, staunstaun, greinte S. gespielt überrascht, der Verleger tickt wie seine Zeitung, oder von mir aus umgekehrt, welch Wunder!
S. setzte nun wieder sein vergleichsweise normales, ja sogar ziemlich ernstes Gesicht auf und endete mit einem kurzen, eigentlich doppelten Hinweis. Erstens: „Bild“ kann man auch boykottieren, wenn man sie einfach mal gelesen hat, da braucht man keinen Döpfner. Zweitens: Morgen werden unsere seriösen Politiker:innen wieder Schlange stehen, um sich von „Bild“ interviewen zu lassen. Wer zwingt sie dazu?