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Nietzsche

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Von: Michael Hesse

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Im Falle der 45-jährigen Giorgia Meloni, der neuen Regierungschefin Italiens, sind die Momente des Hochjubelns und Fallenlassens von besonderer Bedeutung.
Im Falle der 45-jährigen Giorgia Meloni, der neuen Regierungschefin Italiens, sind die Momente des Hochjubelns und Fallenlassens von besonderer Bedeutung. © Gregorio Borgia/dpa

Georgia Meloni folgt Nietzsches „Willen zur Macht“. Steht sie für einen neuen Konservatismus oder ist sie eine Faschistin wie Mussolini?

Friedrich Nietzsche war nicht das, was man gemeinhin einen Ausbund an Bescheidenheit nennt. Ein Blick auf einige seiner Aussagen wird dies unterstreichen: „Warum ich so gute Bücher schreibe“, hieß es einmal bei ihm. „Warum ich so klug bin“, ein anderes Mal. Oder noch deutlicher: „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit.“

Berühmter wurde er durch seinen Spruch „Gott ist tot.“ Wer denkt, das alles sei Schnee von gestern, sieht sich getäuscht. Nietzsche schafft es bis heute, Menschen für sich einzunehmen. So sieht man in der Philosophie in ihm mitunter einen Vordenker der Postmoderne. Schließlich habe er ja gesagt: „Es gibt keine Fakten, nur Interpretationen.“ Allerdings kann man diesen Satz auch in einem anderen Kontext verstehen: Als Vorläufer der faktenfreien Weltdeutungen der politischen Rechten.

Schließlich weiß man nur zu gut, welche Ausstrahlung Nietzsche für die Nationalsozialisten hatte. Es bedurfte genauer philologischer und philosophischer Arbeit, um den Philosophen aus diesen Fängen wieder zu befreien. Zudem soll er in Wahrheit gar nicht so von Hitler und seinen Schergen geliebt worden sein. Hitler soll einmal zu Leni Riefenstahl gesagt haben: „Mit Nietzsche kann ich nicht wirklich viel anfangen ... er ist nicht mein Führer.“

Das scheint sich in den rechten Kreisen noch nicht herumgesprochen zu haben. Einer der wichtigen Einflüsterer der neuen italienischen Ministerpräsidentin, der Neofaschistin Giorgia Meloni, ist ein bekennender Anhänger der Philosophie Nietzsches, „weil er seinen Grundprinzipien in die Augen sah und nicht blinzelte - und dann verrückt wurde“. Die Rede ist von Benjamin Harnwell, ein großer Anhänger des Ex-Trump-Beraters Steve Bannon. Er will die politischen Debatten Italiens „soft“ verändern, sagt er.

Ob ihm dies gelungen ist, kann noch nicht abschließend geklärt werden. Ministerpräsidentin Meloni zumindest erweckt immer mehr den Eindruck, es mit dem faschistischen Erbe Benito Mussolinis doch nicht ganz so ernst zu nehmen. Sie entpuppt sich als Pragmatikerin. Keilte sie im Wahlkampf gegen die EU, so zählte eine Reise nach Brüssel zu einer ihrer ersten Amtshandlungen. Und in Italien selbst sind Debatten wie um das Recht auf Abtreibung von anderen politischen Sachthemen verdrängt worden.

Ist sie also nur ein Typus eines neuen Konservativismus? Man sollte sich vor vorschnellen Urteilen hüten. Meloni tanzt nach wie vor in beiden Welten, des Pragmatismus und des Extremismus. Ein Tanz auf dem Vulkan, der sich für eine offene Gesellschaft schnell zum Schlechten wenden kann - getrieben von dem, was Nietzsche einst den „Willen zur Macht“ nannte.

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