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Von: Sylvia Staude

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Ist die KI nicht schon gestraft genug damit, dass sie in einem Rechner sitzt und hilflos und hungrig zusehen muss, wie Familie Zielgruppe um einen Tisch sitzt und sich die Spaghetti mit den Pythonstreifen schmecken lässt?
Ist die KI nicht schon gestraft genug damit, dass sie in einem Rechner sitzt und hilflos und hungrig zusehen muss, wie Familie Zielgruppe um einen Tisch sitzt und sich die Spaghetti mit den Pythonstreifen schmecken lässt? © Franziska Gabbert/dpa

KI-Nudeln mit Soße: Würden Sie diesen Rezepten blind vertrauen? Obwohl eine KI doch keine Geschmacksknospen hat?

Großtaten der KI und kein Ende: inzwischen kann das Kerlchen/Mädchen/Dingchen/Monsterchen auch schon Pasta-Rezepte entwickeln, nämlich für ein Extraheft von „Lisa Kochen & Backen“ – und unter „genial“ macht es KIchen wohl nicht, denn das Heft ist „Geniale Pasta-Gerichte für Genießer“ betitelt (oder liegt’s nur am Charme der Alliteration?). Allerdings fehlt KI noch Manches, um die eigenen Rezepte auch vorkosten zu können. Ehrlich gesagt fehlt KI alles, von der Zunge mit Geschmacksknospen bis zum Bauch, um herauszufinden, ob die Linguine mit Tomaten, Pythonstreifen und Mehlwurmschenkeln auch bekömmlich sind.

Python und Mehlwurm? Ein Scherz natürlich – keine Angst, falls Sie genau dieses Heft bereits gekauft haben. Denn wenn die KI etwas nicht ist, dann kreativ und kühn. Wenn kein Mensch bisher Ungebräuchliches, Unerschmecktes hineinschmuggelt ins Rezept (zum Beispiel ein Mensch, der Angst hat, seinen Job zu verlieren und der KI die Schuld an den Zutaten geben will), wenn keine Sabotage, dann gibt es hier genau das, was in geschätzt 21 389 534 Rezepten im Internet und 77 318 „Italienisch kochen“-Büchern auch schon vorkommt.

Apropos Sabotage, apropos die Schuld jemand anderem geben: am besten man gibt sie etwas anderem, einer Maschine, da braucht der Mensch kein schlechtes Gewissen zu haben.

Was, die Glosse ist nicht lustig? Das kommt davon, wenn eine humorlose KI den Job der selbstverständlich so witzigen wie geistreichen Redakteurin macht. In der Reportage wird behauptet, Venedig liege am Atlantik? Bestimmt hat die KI im Geografieunterricht Quatsch gemacht. Der Bundeskanzler heißt Olaf Merkel? Da muss im entscheidenden Moment der Strom unterbrochen gewesen sein – quasi Äquivalent des menschlichen Sekundenschlafs. Aber selbstverständlich schläft die Redakteurin bei der Arbeit nie, nicht einmal für eine Sekunde.

Warum der Verlag Hubert Burda nicht kenntlich gemacht hat, dass die „Genialen Pasta-Gerichte für Genießer“ von einer KI erstellt wurden? Die Pressestelle schrieb dazu, die Zielgruppe „sollte das Heft neutral rezipieren können“.

Aber offenbart der Verlag damit nicht eine schlechte Meinung von der „Zielgruppe“ (=Liebhaberinnen und Liebhaber der Nudel mit Soße)? Hat er den Verdacht, dass diese Zielgruppe das Heft nicht kaufen und also gegen die KI diskriminieren würde? Bloß, weil die KI keinen Mund und keinen Bauch hat und darum ihre Rezepte nicht vorkosten kann? Aber ist die KI nicht schon gestraft genug damit, dass sie in einem Rechner sitzt und hilflos und hungrig zusehen muss, wie Familie Zielgruppe um einen Tisch sitzt und sich die Spaghetti mit den Pythonstreifen schmecken lässt?

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