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W.

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Von: Sylvia Staude

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Zwei ganze Monate sind es noch. Gut zwei Monate, um Geschenke zu besorgen.
Zwei ganze Monate sind es noch. Gut zwei Monate, um Geschenke zu besorgen. © Andreas Berheide/imago

Diesem W. sollte man wirklich nicht den Rücken zudrehen – denn kaum vergisst man es, ist es schon da. Verflixt.

Wenn die Blätter gerade mal beginnen, sich zu färben mit einem Hauch Rouge oder Sonnenblumengelb. Wenn die Kraniche noch mit kritischem, suchendem Blick durchs flache Wasser staksen, ohne ans Packen und Üben des Chorgesangs zu denken. Wenn die Rosen noch Knospen haben, wenn auch etwas verschämt, und der Mensch bei ihrem Anblick denkt: Das können die vor dem Winter noch schaffen, doch. Dann lächelt der Mensch nur müde über die – mitten im Sommer, quasi noch Hochsommer – aufgetauchten Produkte im Supermarkt, sagt zu seiner Begleitung: Guck mal, die fangen doch tatsächlich immer früher an mit dieser Albernheit. Produkte nämlich, in keineswegs diskreten Stapeln auch gleich noch, Backwaren, die zu einer ganz anderen Jahreszeit gehören, einer Jahreszeit, die mit ihren Printen und Stollen, Marzipan und zimtduftenden Keksen noch so weit weg ist.

Das ist sie doch, oder? Und müsste sie sich nicht, wie es sich gehört, erst ankündigen mit Schneeflocken oder wenigstens Morgenglätte? Ein wenig Raureif auf den Blattspitzen? Stattdessen: Nieselregen. Stattdessen: Herbststurm, der die ganze Nacht an den Fensterläden rüttelt.

Noch lacht man also herzlich, wenn US-amerikanische Comedians und Late-Night-Talker sich über die kulinarischen Herausforderungen von Kürbis-Variationen lustig machen, über einen Latte mit Kürbisgeschmack lästern, über nach Raumduftkerzen riechende Gewürzkombinationen, bei denen es den Weihnachtsmann schütteln würde, müsste er sie auf seinen Schlitten packen.

So, jetzt ist es doch gefallen, das W-Wort, das verflixte, eigentlich noch verbannte. Dieses W., zu dem es noch so lange hin ist ... Moment, wie viele Wochen nochmal?

Ach was, Wochen, zwei ganze Monate sind es. Gut zwei Monate, um Geschenke zu besorgen (denn hat man nicht am 23. Dezember 2020 heiß und innig geschworen, dass einen Heiligabend im nächsten Jahr bestimmt nicht wieder kalt erwischt). Und einen guten Monat, um einen Adventskranz zu basteln. Das wäre doch gelacht, wenn der nicht am ... Moment ... spätestens 28. November fertig wäre.

Insgeheim fürchtet der w-feiernde Mensch, dass das W. es auch in diesem Jahr wieder schafft, die W-Nummer abzuziehen, bei der es sich – Stollen im Supermarkt-Ständer hin, nun sich doch laut chorrufend verabschiedende Kraniche her – anschleicht, einem das Gefühl gibt, es sind noch acht, sechs, immerhin vier Wochen bis zu ihm. Vier Wochen! Man dreht ihm den Rücken zu, man hat gerade so viel anderes zu tun. Irgendwann dreht man sich dann wieder um, denn: schaut einem da nicht jemand über die Schulter? Und atmet einem in den Nacken?

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