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Mutig

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Von: Stephan Hebel

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Vor allem im Verkehrs- und im Gebäudesektor geschieht fast nichts bis zu wenig.
Autos verjagen? Oder gar auch noch diskriminieren? © Marijan Murat/dpa

Diskriminierung von Autos – das wäre ja noch schöner! Die Kolumne „Times mager“.

Die Stadt, liebe Mitbürgerinnen und -bürger, befindet sich derzeit in ihrem vorbestimmten Naturzustand. Aus den Schornsteinen steigen die Rauchwölkchen des aus befreundeter amerikanischer Erde gepressten Gases, das uns winterlich-wohlig wärmt, in einen ansonsten wolkenfreien Himmel, aus dem es bald nie mehr regnen wird.

Die Einfallstraßen: belebt vom regen Verkehr der Pendelnden und Einkaufswilligen in ihren Stadtgeländewagen, die sich schneckengleich vorankriechend artig aneinanderreihen. Am Straßenrand – nicht in der Parkbucht, da ist kein Platz – ein einzelner Wagen, sanft säuselt der Motor, der den wartenden Insassen mit warmer Luft versorgt.

Nur eine Radlerin, leise fluchend am Abgaswölkchen des Autos vorbeimanövrierend, stört die Idylle. Sie ist durch das Summen des geparkten Autos und das Rauschen des fließenden Verkehrs hindurch nur bruchstückhaft zu verstehen, einzelne Wörter wie „Parkraumbewirtschaftung“ dringen ans Ohr der Fußgehenden auf dem Bürger:innensteig.

An der nächsten Laterne hängt, in Form eines Plakats, Uwe Becker von der Christlich Demokratischen Union, der sich in der Stadt um das Amt des Oberbürgermeisters bewirbt. Dem Passanten fällt das Zitat einer Passantin ein, das er gerade in der Zeitung gelesen hat. Sie traue dem Herrn Becker einen Wahlsieg zu, hat sie sinngemäß gesagt, denn wie die anderen mit den Autos umgingen, das gehe ja gar nicht: überall riesige, breite Radwege, und kaum ein Fahrrad drauf! Auf Politisch, in der Sprache des Herrn Becker: „Man muss schauen, dass man das vernünftig hinbekommt und nicht als Erstes den Autoverkehr aus der Stadt jagen will.“

Ihre Zeitung, liebe Leserinnen und Leser, wendet sich gegen jede Form der Diskriminierung, natürlich auch gegen die Diskriminierung, ja: Verjagung (!) des Autos. So wie sie sich gegen den Feminismus wehrt, der die Männer abschaffen möchte. So wie sie die Propaganda für Schneckenzäune verabscheut, die die berechtigten Interessen von Kriechtieren gegen die utopischen Wachstumsfantasien von Pflanzen ausspielt und dabei keine Verunglimpfung scheut: „Im Schutz der Dunkelheit kriechen in vielen Gärten ganze Horden von Nacktschnecken aus ihren Verstecken und machen sich über Blumen und Gemüse her“ (Norddeutscher Rundfunk). Mein Gott, das klingt ja fast, als wären Schnecken Flüchtlinge!

Gut, dass auch die politische Konkurrenz den sachbezogenen Schulterschluss mit dem Christdemokraten nicht scheut: „Es ist kontraproduktiv, Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen“ (Detlef Müller, SPD, Bundestag). Und mutig summen, jeder Diskriminierung trotzend, die Motoren.

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