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Times mager
Man
- vonStephan Hebelschließen
Mann sagt man, auch Bauern und Bäuerinnen sagen man – warum bloß, wenn sie doch „ich“ meinen?
Es ist eine dieser Sendungen, von denen die Leute, die bei der Online-Konferenz immer vor riesigen Bücherwänden sitzen, früher behauptet haben, sie seien „zufällig hineingeraten“. Heute bekennen wir uns dazu.
„Bauer sucht Frau“ im Feuilleton, das ist Routine, und wer hier noch keine Analyse über den Wandel der Narrative der Scripted Reality aus systemtheoretischer Sicht geschrieben hat, muss als intellektuell unterbelichtet gelten. Außerdem suchen auch Bäuerinnen Männer, hier und da, RTL gendert, alles klar.
Denise, um es kurz zu machen, hat sich eigentlich für Sascha entschieden, auch wenn da gerade etwas schiefzulaufen scheint. Wird sich die pfiffige Pferdewirtin wegen des Streits mit dem muskulösen Mustermann von der strohblonden Strahlefrau in eine trauernden Tiermutter verwandeln? Wir wissen es nicht, Fortsetzung am Montag.
Jedenfalls, wie gesagt: Die durchtrainierte Dorfschönheit Denise hatte sich für Sascha entschieden und Patrick vom Hof gejagt, und Sascha, der bärenstarke Berufssoldat, hatte das für ihn günstige Ende des Konkurrenzkampfs mit einem Satz für die Ewigkeit kommentiert: „Da kann man endlich mal ich sein.“
Nun ist es so, dass Sascha mit „man“ wahrscheinlich sich meinte, also aus seiner Sicht: „ich“. Aber so einfach ist es nicht, denn die Ausdrucksweise des kraftstrotzenden Kuschelkandidaten eröffnet mannigfaltige Interpretationsmöglichkeiten.
Meinte Sascha ein groß geschriebenes „Ich“? Schwang da die freudianisch befeuerte Vorstellung mit, „die Triebpotenziale aus dem Es und die normativen Anforderungen des Über-Ichs mit den Gegebenheiten der Realität in Einklang zu bringen“ (Stangl, Online, Lexikon für Psychologie und Pädagogik, 2020, Stichwort „Ich-Stärke“)? Und das bei RTL?
Oder klingt nicht doch der echte „Mann“ mit im unbestimmten „man“? Die Sehnsucht, das eigene muskulöse Mannsein durch irgendeine Art von „Ich“ zu ergänzen? Oder gar die unbewusste Umkehrung des eigentlich gemeinten „Da kann ich endlich mal Mann sein“? Ist es das, was Denise verzweifeln lässt?
Nein, die Sache liegt natürlich anders: Solo-Soldat Sascha hat sich einem Gebrauch des Wörtchens „man“ angeschlossen, den wir durchaus auch aus anderen Zusammenhängen kennen.
„Man freut sich natürlich über das eigene Tor, aber am wichtigsten ist, dass ich der Mannschaft helfen konnte“, rattert der Siegtorschütze herunter. „Man macht sich natürlich Sorgen um die Menschen, aber ich bin für die Zukunft des Unternehmens verantwortlich“, versichert der Manager beim Personalabbau, oder so ähnlich. „Man hilft ja gerne, ich hatte schließlich Glück im Leben“, bekennt die reiche Spenderin.
Ja, so ist das: Ausgerechnet wenn es um Gefühle geht, ist das „Ich“ gerne nur noch „man“. Schauen wir also, wie es weitergeht auf dem Hof der betroffenen Bio-Bäuerin Denise! Wird sie auch Sascha vom selben jagen? Und was wird sie sagen? Wahrscheinlich: „Man ist schon traurig, aber ich konnte den Kerl nicht mehr sehen.“ Und: „Endlich kann man wieder Frau sein.“