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Von: Sylvia Staude

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Was sind ihre zehn Besten?
Was sind ihre zehn Besten? © imago

Kennen Sie die zehn besten Bücher, die zehn besten Filme? Und falls nicht, ist das ein Problem?

Während am Adventskranz erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier Lichtlein brennen, während die eine sich die Haare, der andere die Glatze rauft, weil eine Idee für das ideale Weihnachtsgeschenk für B. (Handschuhe?, nee) oder F. (Rasierwasser?, bloß nicht) einfach nicht kommen will, während eine Zeitungsmeldung einen Weihnachtsmannmangel beklagt (echt jetzt? Aber den gibt es doch gar nicht, wie kann ein Mangel von etwas herrschen, das es nicht gibt?), während man selbst immer verzweifelter über einer Geschenke-Liste brütet (wäre es möglich, ganz besondere Handschuhe für B. zu finden?), während man also schon gewaltig unter Druck steht, die Tage vergehen wie im Flug, der dritte Advent auch schon wieder vorbei ist, die Plätzchen bereits aufgegessen, die eigentlich noch zum feiertäglichen Familientreffen angeboten werden sollten, während dies alles drängt und zwickt (die Plätzchen, verstoffwechselt, schon am Hosenbund), kommt in diesen Jahresendwochen ein noch fieserer Druck dazu: Listen.

Listen, über die sich brave, anders als Sie alles mitkriegende Leute Gedanken machen, und über denen dann zum Beispiel steht: Die zehn besten Bücher des Jahres; die zehn tollsten Filme von 2021; die zehn Musikalben, die Sie in diesem Jahr unbedingt gehört haben sollten. Und hier nochmal die lehrreichsten Sachbücher. Listen also, auf denen Sie im Schnitt höchstens zwei oder drei Bücher/Filme/Alben in diesem gerade vergehenden Jahr überhaupt zur Kenntnis genommen haben, davon gegen null tatsächlich gelesen/gesehen/gehört. So dass Sie sich nun fragen: Entgeht mir da was und ist es höchste Zeit, das nachzuholen?

Ja, denken Sie vielleicht nun, ignoriere ich all dieses Wissen und diese Schönheit zu meinem Schaden? Würde es meinem Leben zum Beispiel eine andere Wendung geben, wenn ich den Film gesehen hätte, in dem ein total sexy Außerirdischer plötzlich vor der Tür steht, so dass ich selbst vorbereitet wäre, falls ein total sexy Außerirdischer plötzlich vor der Tür steht – und wüsste, wie ich mich verhalten soll? Und wenn ich diesen Roman demnächst noch lesen würde, den offenbar alle außer mir bereits gelesen und mit großem Gewinn gelesen haben, wenn man dem Schutzumschlag glauben darf? Würde ich dann sofort kündigen/nach Tibet reisen/ins Kloster gehen/wenigstens diesen schicken Wollmantel kaufen, der mir neulich noch zu teuer war?

Und würde das mein Leben so verändern, dass ich mir keine unnützen Gedanken mehr darüber machen bräuchte, dass ich die anderen neun Titel auf der Liste der zehn besten Bücher nicht gelesen habe und auch nicht mehr lesen werde?

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