Licht

Unbeschwert eher nicht: Vom Spazierengehen am Ufer eines Sees und Widersprüchen Ins-Auge-Sehen.
An einem dieser ersten Frühlingstage, an dem die Sonne schon halbwegs erfolgreich gegen den kalten Wind anschien, machte Kollege S. mit der geliebten Person an seiner Seite einen Ausflug an den See. Es sei, erzählte er später, ein langer Spaziergang gewesen, wobei er nicht genau wisse, wo, also beim wievielten Kilometer, ein langer Spaziergang aufhöre und von einer Wanderung die Rede sein müsse, aber er wolle nicht übertreiben, Spaziergang also.
Am See habe, wie eigentlich fast immer hier, die nahezu perfekte Idylle geherrscht: glitzerndes Wasser, vorschriftsgemäß romantisch ans Ufer plätschernd, und selbst die Rollatoren, aufgereiht vor dem Sanitätshaus im Städtchen, hätten irgendwie nach Turbo ausgesehen, zugleich allerdings gemütlich. Selbst die öffentliche Toilette am Wegesrand habe eine hygienetechnische Perfektion ausgestrahlt, als wäre sie einem Luxushotel entkommen. Am Ziel dann ein Stück Käsekuchen, perfekt.
Es konnte nicht ausbleiben, dass der herrschende Weltwahnsinn im Kontrast zu diesen strahlend hellen Stunden seine besonders scharf konturierten Schatten warf. Das Gespräch, erzählte Kollege S., habe sich natürlich um den Krieg gedreht, Kiew sei keine 1600 Kilometer vom See entfernt, das syrische Aleppo allerdings, längst zerbombt und fast vergessen, auch nur 1000 Kilometer weiter, vom vernichtenden Krieg im Jemen zu schweigen.
Das Wasser im See beim zweiten Hinschauen ziemlich niedrig, kein Regen seit Tagen, kahle Stellen in den Wäldern auf den Hügeln jenseits der Uferwege. Unbeschwert ein Stück Käsekuchen genießen? Nein, darauf einigte sich S. mit der geliebten Person an seiner Seite, unbeschwert eher nicht. Aber trotzig vielleicht, den irrwitzigen Widersprüchen ins Auge schauend, ohne sich die Momente sanft gleitenden Glücks ganz verderben zu lassen, die doch wie kleine Kraftwerke wirken sollten für die innere Widerstandskraft im Umgang mit der Wirklichkeit der Welt.
Ob das eine Illusion sei, hätten die Begleiterin und er sich gefragt, erzählte S., unanständig gar gegenüber den Menschen, die sich Auszeiten vom Wahnsinn nicht einmal mehr vorstellen könnten, gefangen in Bunkern und Kellern oder auf der Flucht. Mit der Begleiterin habe er sich auf den Kompromiss geeinigt, dass es darauf ankomme, ob die Momente der Schönheit mit Ignoranz erkauft würden oder nicht.
Als abends ein Demonstrationszug erkennbar wohlständiger Menschen durch das Städtchen zog, die Wirklichkeit einer Pandemie zynisch leugnend und freudestrahlend marschierend im Schein der eigenen Ignoranz, da hätten sie jedenfalls gewusst, wie es nicht geht, sagte S.