Lachhaft

Das biometrische Passbild: Ein kunsthistorischer Flashback in Zeiten, in denen es kein Lachen gab.
Ein biometrisches Passbild ist, kunsthistorisch betrachtet, ein ikonografischer Flashback: zurück in die Zeit, in der es auf Bildern noch kein Lachen gab. Bis ins 19. Jahrhundert war es auf ordentlichen Porträts so gut wie nicht zu finden, siehe Ahnenfotos. Die Menschen darauf: stocksteif, mit ernster Miene. Sie hatten natürlich ohnehin wenig zu lachen, noch weniger als wir heute. Außerdem gab’s die lange Belichtungszeit, und das minutenlange Lächeln: anstrengend; Wangenkrampf.
Wahrscheinlich hätte man es trotzdem auf sich genommen. Das Ding war aber; das Nichtlachen war wichtig für ein gutes, formelles Bild – schon aus der jahrhundertelangen Tradition der Porträtmalerei heraus. Der Gesichtsausdruck sollte in den Gemälden Würde demonstrieren, Erhabenes, sogar Majestätisches. Stellen wir uns Albrecht Dürer im Selbstporträt vor, wie er herzhaft lacht, Jan Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrring, das ungehemmt lächelnd Zähne zeigt, oder Hyacinthe Rigauds Ludwig XIV., losgelöst die Betrachtenden anstrahlend. Lachen – das galt als unpassend, inkompetent, unreif, nicht tugendhaft, unwürdig, fratzenhaft, hässlich. Es war den Verrückten, den Narren und Volltrunkenen vorbehalten. Wer sonst lachte – machte sich lächerlich.
War das Lachen damals also gar nichts wert? Aber doch! Ein französisches Forscherteam hat jetzt herausgefunden, dass die unter Parodontitis leidende Aristokratin Anne d’Alègre im 17. Jahrhundert ihre lockeren Zähne mit Golddraht befestigte und Implantate aus Elfenbein einfädelte – um Gebiss und Status zu erhalten (und sich nicht die Blöße eines lückenhaften Lächelns zu geben, klar). Um der Mona Lisa das berühmte Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern, soll Leonardo da Vinci sogar extra dafür gesorgt haben, dass jemand „sang, spielte und Scherze trieb, damit sie fröhlich bleiben möchte“, wie der Biograf Giorgio Vasari schrieb. (Muss man nicht unbedingt glauben.) Jedenfalls hätte die Mona Lisa niemals Zähne gezeigt, hoffentlich nicht wegen Zahnfleischproblemen, sondern weil sie ja dieses Geheimnis in sich trägt. Es ist in ihrem Gesicht verborgen, es spiegelt sich im Sfumato der Landschaft und dem leichten Stoff über ihrem Haar, der das Seelische zu verschleiern scheint. Ein offenes Lachen hätte all das zunichtegemacht.
Der Roboterarm fährt hoch, auf dem Bildschirm die Anweisungen: geradeaus gucken, neutraler Ausdruck. Ein klitzekleines, angedeutetes Mona-Lisa-Lächeln – das lässt sich doch irgendwie in den Reisepass schmuggeln? Abgelehnt. Die Beamtin, die das Bild am Screen aufruft, lächelt – sie darf das – und sagt freundlich: „Tja. Sie müssen es sich ja nicht im Wohnzimmer aufstellen.“