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Krieg 7

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Von: Thomas Stillbauer

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Seebrücke im Ostseebad Kellenhusen
Da war doch noch was außer der Seebrücke im Ostseebad Kellenhusen ... © Frank Molter/dpa

An der ausgesprochen westlichen Ostsee bekommt man vom Krieg wenig mit. Nein, stimmt nicht.

Perspektivwechsel. An der Ostsee, in den Ferien, aber an der ausgesprochen westlichen Ostsee, kannst du nach sieben Wochen denken, es wäre überhaupt kein Krieg. Du kriegst einfach nichts mit, wenn du kühl genug bist, nicht schon morgens im Bett die Nacht aufzuarbeiten oder wenigstens gelegentlich Anteil zu nehmen. Da und hier eine Fahne in Blaugelb, und man hat vor Ort nicht nur gelbe, auch blaue Mülltonnendeckel. So ergibt sich, wenn die richtigen Tonnen zusammenstehen, die passende Kombination. Immer gut, wenn die Richtigen zusammenstehen.

Die Welt an sich aber spiegelt keinen Krieg. Die Welt an sich hat weiterhin andere Probleme, auch an der westlichen Ostsee, zum Beispiel, dass jemand abrupt bremst, weil gerade ein Parkplatz frei wird. Da hupt der Fahrer dahinter nicht nur. Da springt der Fahrer dahinter aus dem Auto, während der Einparker einparkt, und zürnt, weil im Moment nichts krasser ist für ihn als ein abrupt bremsender Verkehrsteilnehmer, wenn auch ohne Unfall. Aber die Provokation. Bei diesen Benzinpreisen!

Ein paar Stunden an der Ostsee entlang nach Osten ist Polen, dann kommt Kaliningrad, dann kommt Litauen, dann kommt darunter Belarus, dann kommt darunter die Ukraine. Wie klein, die Welt. Wie viel kleiner: wir. Wie wichtig nehmen wir uns.

Früher, noch viel kleiner, ein Genesungsaufenthalt an der Ostsee. Das Kind muss kräftiger werden. Das Kind muss essen. Ein anderes Kind soll abnehmen und muss darben. Das satte Kind schüttet dem hungrigen Kind seine halbe Suppe in die Schüssel, in einem unbeobachteten Augenblick. Was Siebenjährige so als unbeobachteten Augenblick deklarieren. Die gestrengen Schwestern im christlichen Erholungsheim schütten dem satten Kind die dicke Suppe zurück in die Schüssel, zur Strafe eine Kelle obendrauf, und brüllen: „Aber unsere Wirtschaft!“ Oh Pardon, Zeitsprung. Das satte Kind sitzt bis in den Nachmittag vor seinem Teller und träumt vom weißen Wal, wie er zwischen Möhren und Lauch auftaucht und ihn mitnimmt ins Taka-Tuka-Land. Heute: weg, das Heim. Eigentumswohnungen.

Im Fernsehen sieht man zwei Männer an zwei Fußballtorpfosten, wie sie vor 50 000 Zuschauer:innen dagegen protestieren, dass wir a) die Welt kaputtmachen und b) die Ukraine kaputtmachen helfen, alles, indem wir verbrennen, was die Welt in 4,56 Milliarden Jahren produziert hat. Die Fußballwelt fühlt sich empfindlich gestört. Der gastgebende Verein muss 7500 Euro Strafe zahlen. Du kriegst, wenn du kühl genug bist, auch im Alltag nichts mit. Es wird darauf hinauslaufen, dass wir nur aus dem Schlamassel herauskommen, wenn die Richtigen zusammenstehen.

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