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Krieg 6

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Von: Thomas Stillbauer

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Und dann ist auch noch das Bier leer.
Und dann ist auch noch das Bier leer. © Imago

Du hast Bauchweh, das Bier ist alle, ständig tauchen neue Probleme auf, die alten bleiben ungelöst - doch anderen geht es viel schlechter. Die Kolumne „Times mager“.

Dann wird es auch noch saukalt draußen, und du wolltest doch Gas sparen, um jeden Preis. Du sparst trotzdem Gas, eisern, dann frierst du eben, denn: Anderen geht es schlechter.

Dann bricht dir auch noch der Fingernagel ab. Dann kannst du noch nicht mal schlafen. Dann ist der Akku vom Radio im Bad genau in dem Moment leer, als die Nachrichten anfangen. Dann spielt dein Fußballverein nur nullnull. Dann will die Katze lieber unterm Auto bleiben, als von dir gestreichelt zu werden.

Dann hast du Bauchweh. Dann kriegst du einen Termin rein, der dir eigentlich wichtiger wäre als der Termin, der an dieser Stelle schon in deinem Kalender steht, aber den Termin, der da steht, hast du seit Monaten immer wieder verschoben, den kannst du jetzt nicht schon wieder verschieben, das kannst du denen nicht antun. Warum denkst du über sowas eigentlich nach. Anderen geht es viel schlechter.

Dir ist die ganze Zeit nichts passiert, zwei Jahre bist du beispielsweise dem Virus entkommen, während fast alle um dich herum schon beinahe daran gestorben wären, aber du warst vorsichtig, das war schließlich das Wichtigste, dich und andere nicht zu gefährden. Vor allem andere. Für sie mitdenken. Rücksicht nehmen. Am Ende tust du es auch für dich selbst. Am Ende hilft Zurückhaltung allen.

Und dann kommt einer und kennt gar keine Rücksicht mehr. Und dann gibt es plötzlich ein Problem, das viel größer ist als das Problem davor und als das Problem davor, obwohl die Probleme davor noch längst nicht ausgestanden sind, obwohl die Probleme davor wahrscheinlich nie ausgestanden sein werden, obwohl die Probleme davor irgendwann die Probleme danach sein werden, so wie es momentan aussieht. Obwohl du irgendwann sowieso nicht mehr da bist, und dann sind es einfach die Probleme der anderen, die du leider nicht gelöst hast, weil du gerade andere Probleme hattest.

Dann ist auch noch das Bier alle. Dann müsste auch noch das alte Sofa eigentlich endlich auf den Sperrmüll. Dann ist deine Liste mit Aufgaben, die du noch vor den Ferien erledigen wolltest, so unfassbar lang, dass du noch nicht einmal die Energie aufbringst, auch nur eine Aufgabe davon zu erledigen. Du traust dich nicht mal, auf die Liste zu schauen. So überfordert bist du.

Dann kannst du im Fernsehen gar nicht mehr hinsehen. Dann fragst du dich, was du eigentlich für einer bist, der nicht mal hinsehen kann, während andere nur noch weglaufen können. Falls sie noch laufen können. Denn das ist es ja, warum es dir schlecht geht: Anderen geht es viel, viel schlechter.

Liebe Frau L. aus M.: Danke! Falls Sie doch noch bei uns sind: Bleiben Sie bitte.

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