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Krieg 5

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Von: Thomas Stillbauer

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Die fabelhafte Geschichte, wie Zuckerbäcker Kornitzke einst für Weihnachtsfrieden sorgte.

Das Heldinnen- und Heldentum ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Sicher, der Torwart, der den Elfmeter hält, die Tierpflegerin, die in letzter Sekunde den Zweijährigen aus dem Tigerkäfig reißt, bärinnenstark. Aber was halten wir inzwischen von Soldaten?

Sagen wir’s, wie es ist: Der Ruf der Kommissköppe ist ruiniert. Rakete von sonstwo ins Stadtzentrum schießen? Toll? Bewaffnete Drohne? Kann jeder Zwölfjährige am PC. In ein friedliches Land einmarschieren, weil’s ein kriegskranker Alleinherrscher befiehlt? Schön blöd. Nein, nicht schön. Nur blöd.

Wer ist heute noch Held? Vielleicht jemand, der in einem herrlichen Heldenbuch vorkommt: Alfred Kornitzke. Der hat Folgendes gemacht.

Erster Weltkrieg, 24. Dezember 1917. Deutsche und Franzosen ballern (blöd) aufeinander. Ein Unding, denn selbst zu Weltkriegszeiten ist man sich im Prinzip darüber einig, dass an Heiligabend auch mal gut sein muss mit der Ballerei. Bisschen Besinnlichkeit, bisschen Nächstenliebe. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt.

Doch ballern auf französischer Seite an diesem Tag algerische Soldaten. Die, so steht es zumindest geschrieben, ahnen nichts von Weihnachten. Weil sie also blöd weiterballern, ballern auch die blöden Deutschen. Am meisten empört das den Berliner Zuckerbäcker Alfred Kornitzke, der mit der hochsensiblen Marzipanherstellung aus christfestlichem Anlass beschäftigt ist. Die Gefechte hindern ihn am ohnehin mühseligen Mandelnhacken, lassen ihn das Rosenwasser verschütten und löschen auch noch das Feuer seines Petroleumkochers.

„Jetzt war in dem kleinen Dicken kein Halten mehr. ,Det reicht mir, Jeschäftsfreunde!‘, tobte er in Richtung auf die gegnerischen Linien. ,Weihnachten is Weihnachten, und Marzipan is Marzipan. Ick laß mir det nich von euch vermiesen.‘“ Kornitzke schnappt sich einen Christbaum und marschiert, Bäckermütze auf dem Kopf, aufs Schlachtfeld. Stellt den Tannenbaum in die Mitte. Zündet die Kerzen an. Ruft: „Na also, ihr Dösköppe, jetzt wißt ihr, wat los is! Fröhliche Weihnachten!“

Er sagt „wißt“, nicht „wisst“, weil die Geschichte von 1967 stammt und in dem urgroßartigen Buch „Mein Urgroßvater, die Helden und ich“ von James Krüss geschrieben steht. „Der rasende Marzipanbäcker Alfred Kornitzke wurde zu einem frommen Helden, der er in Wahrheit nie gewesen ist“, schließt das Kapitel.

Autor Krüss, selbst Soldat, ist erst nach 1945 zum Friedliebenden geworden, wie er zugab. Seine Geschichten von Urgroßvater und Urenkel, wie sie über Helden sprechen, wärmen das Herz. Aber Weihnachten ist viel zu lang hin. Ostern muss Sense sein mit Ballerei, Jeschäftsfreunde, spätestens.

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