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Krieg 4

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Von: Thomas Stillbauer

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„Der Soldat James Ryan“ zeigte uns, wie furchtbar der Krieg vor 80 Jahren war. Wie er heute ist, sehen wir gerade.
„Der Soldat James Ryan“ zeigte uns 1998, wie furchtbar der Krieg vor 80 Jahren war. Wie er heute ist, sehen wir gerade. © Imago

Die 6-Uhr-Nachrichten am Küchentisch hören, an den Film „Der Soldat James Ryan“ denken: Überall ist Krieg.

Schrecklich oft ist just um 5.45 Uhr die Nacht vorbei. Es gilt dann, den Müll von gestern Abend hinunter-, die Getränke für heute Abend heraufzubringen, so eilig, dass der noch unzurechnungsfähige, nur in den Grundeinstellungen funktionstüchtige Körper zu den 6-Uhr-Nachrichten am Küchentisch sitzt. Im besten Fall ist dann schon ein Tropfen Milch erwärmt und der kleine Kaffee drübergebrüht, so dass die Ohren sich konzentrieren können auf das, was das Radio erzählt.

Den Zwieback noch nicht kauen, zu laut. Die Zeitung noch liegen lassen. Bis dato ist nur die Titelseite verstanden. Lesen und rascheln und kauen und zugleich die neusten Kriegsnachrichten, das geht schwer zusammen. Die neusten Kriegsnachrichten und ein albernes Spiel auf dem Mobiltelefon, ein Spiel, bei dem man nicht denken muss, bei dem man aufs Radio hören kann, das geht.

Ein Spiel, bei dem man Blasen zum Platzen bringt. Oder Sudoku. Aber besser Blasen platzen lassen, ohne zu denken. Ein Spiel, bei dem man das Denken sowieso über kurz oder lang verlernt. Rund um die 6.30-Uhr-Nachrichten die Zeitung lesen in der Küche, um 7 Uhr möglichst ins Bad. Radio im Bad. Krieg überall.

In dem Film „Der Soldat James Ryan“ von Steven Spielberg (1998) sehen wir eine Frau in einem abgelegenen Haus in den USA. Sie spült Geschirr, ihr Blick fällt durchs Fenster über die Schultern von uns Zuschauern in die Ferne. Sie schaut wieder zum Geschirr, hält inne, schaut wieder auf, hinaus, die Kameraperspektive wechselt – ein Auto nähert sich. Staubwolke. Die Frau unterbricht ihre Arbeit. Sie verlässt die Küche und geht mit den weichsten Knien ihres Lebens zur Haustür.

Zuvor haben wir in diesem Antikriegsfilm unerträglich lang erlebt, wie die US-Truppen in der Normandie anlanden, wie geschossen wird, gestorben, wie, Entschuldigung, verreckt wird. Wie furchtbar der Krieg ist. Oder wie er vor 80 Jahren war. Wie er heute ist, sehen wir gerade. Was er im Einzelnen bewirkt, können wir nicht ermessen, nicht fühlen, nicht verstehen, nur ahnen.

Das Schlimmste an diesem Antikriegsfilm, in dem so brutal gestorben wird, ist, wie die Frau an ihre Haustür geht, öffnet, wie das schwarze Auto anhält und ein Pfarrer aussteigt. Wie die Frau sich nicht mehr auf den Beinen halten kann, wie sie auf den Boden sinkt, weil sie weiß, was nun kommt, aber noch nicht weiß, dass es drei sind, drei ihrer vier Söhne tot, gestorben im Krieg gegen den wahnsinnigen Tyrannen.

Wer den Film kennt, weint schon, sobald er die Frau Geschirr spülen sieht. Nicht nur um die Ryan-Brüder, um jeden Menschen, der gerade in der Ukraine stirbt, und er weint auch mit den russischen Müttern.

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