Krieg 64

Nachbarschaften, mit denen man sich verständigen kann: die braucht es heute.
Die Freiheit gestattete es den Menschen, fröhlich zu sein. Und den Tieren. Sie freuten sich auf den Frühling. Sie besangen das Leben. Die Vögel besangen die Freiheit, das Blühen und das Leben, die Menschen blieben auf ihren Spaziergängen stehen und hörten ihnen beseelt zu.
War es angemessen, glücklich zu sein, während nicht sehr viel weiter im Osten Mensch und Tier im Unglück feststeckten? Wieder diese Frage. Blick zurück in die Zeit vor einem Jahr: Auch nach zwölf Wochen Krieg warst du gelegentlich unbeschwert gewesen, hattest Musik gehört, Sportveranstaltungen verfolgt und dich darüber gewundert, wie emotional du trotz allem sein konntest. Lieblingslieder mitgesungen, in der Küche albern getanzt, ohne schlechtes Gewissen manchmal.
Aber ja, natürlich war das im höchsten Maße angemessen: glücklich zu sein. Auf keinen Fall durfte es den Despoten gelingen, die ganze Welt in die Verzweiflung zu stürzen mit ihrer tumben Aggression. Sogar dem eigenen Volk fiel in Umfragen nicht mehr viel ein, was es über die Gestaltungskraft des riesengroßen Reichs hätte sagen können, jenes Reichs, das vor acht Jahren und 64 Wochen seinen Nachbarn überfallen hatte. Die eigenen Leute waren aufs Äußerste belastet und eingeschüchtert. Die Welt, die in Freiheit lebte und diese Freiheit zu verteidigen bestrebt war, durfte sich von der Lähmung nicht anstecken lassen.
64 Wochen und acht Jahre Krieg, und was die Welt unbedingt brauchte, waren Nachbarschaften, von denen kein Krieg und keine Bedrohung ausging. Überall. Was die Welt brauchte, waren gute Nachbarschaften, immer und überall. Was die Welt dringender denn je brauchte, waren Nachbarschaften, mit denen man sich freundschaftlich über alles verständigen konnte.
Ob man Bären und Wölfe jagen sollte, die sich wieder in die einst verlassenen Wälder wagten. Womit man seine Häuser heizte, um den Planeten zu schützen. Wem auf einem Kontinent dringend und unbedingt Zuflucht gewährt werden musste. Um welche Uhrzeit man einen Rasen mähen, ein Loch in die Wand bohren konnte. Wie schnell ein Verkehrsmittel über die Straßen rauschen durfte. Wessen Frisur in der Öffentlichkeit unverhüllt vorzeigbar war. Wie frei ein Mensch sein Leben gestalten können sollte. Die Welt brauchte Nachbarschaften, die sich über all das und noch viel mehr offen verständigen konnten, auf eine Weise, die es den Beteiligten erlaubte, das Gesicht zu wahren und ihre Unversehrtheit und über allem ihre Freiheit.
Wir Menschen waren davon weiter entfernt, als wir es uns noch vor wenigen Jahren hätten eingestehen wollen. Wir mussten wieder vernünftig werden.