Krieg 57

Rote Drähte, rote Knöpfe, das alles schien einst nichts mit einem selbst zu tun zu haben ... Die Kolumne „Times mager“.
Es gab Menschen, die würden nicht mehr erleben, dass dieser Krieg einst endete, wenn er denn einst enden sollte. Dass ihnen jemand sagte, wo die Blumen waren, was geschehen war. Menschen würden das Kriegsende nicht erleben, weil man sie aus ihren Häusern gebombt, weil man sie niedergemetzelt hatte in dieser Niedertracht. Menschen, die keiner Seele etwas zuleide getan hatten, bis jemand beschloss, sie nicht mehr leben zu lassen.
Anderen würde verborgen bleiben, dass irgendwann Gerechtigkeit siegte, falls irgendwann Gerechtigkeit siegte, weil das Sterben auch außerhalb des Kriegsgebiets seinen üblichen Lauf nahm. Auch dort, wo der größte Teil der Bevölkerung nie zuvor in einem Krieg hatte leben müssen und jetzt das Gefühl hatte, selbst beteiligt zu sein.
57 Wochen Krieg, nein acht Jahre und 57 Wochen, und es fühlte sich jetzt so an, als sei man selbst darin verwickelt. Längst fühlte es sich so an.
Vormals, in den Jahren, als die meisten im Land volljährig geworden waren, die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge, hatte sich nichts so angefühlt, als würde man an irgendwelchen Kampfhandlungen beteiligt werden müssen. Es hatte damals Animositäten gegeben, eiserne Vorhänge, Blöcke und Blockfreie, heiße Drähte, rote Knöpfe.
Aber was hatte man selbst damit zu tun? Es war allzu unwahrscheinlich, dass es einmal zum Schießen kommen würde, hier, unter zivilisierten Menschen, oder auch nebenan. Wer sollte da wen angreifen? Und was sollte unter diesen Umständen der „Dienst an der Waffe“ bringen? Hatte nicht der Dienst am Menschen, der Dienst am Nächsten, viel mehr Sinn? Alle in der näheren Umgebung verweigerten sich dem Dienst an der Waffe damals, um sich lieber dem Dienst am Nächsten zu widmen.
Vierzig Jahre später gab es immer noch wenig Geld für jene, die sich um ihre Nächsten kümmerten, und viel Geld für jene, die sich um das Geld ihrer Nächsten kümmerten. Seine kranken Mitmenschen zu pflegen war so dürftig bezahlt, als würde man sie als Steckenpferd betreiben, die Pflege, als Hobby, das man freilich bis zur totalen Erschöpfung ausübte – während schnell reich wurde, wer ein Talent dafür hatte, das Geld der Gesunden zu mehren.
All das lief weiter, während der Krieg andauerte, während man spürte, wie quälend lang 57 Wochen Krieg waren, selbst wenn man nur sein Mitleid aushalten musste. All das lief weiter, und vielleicht war das ein Grund dafür, dass auch das Töten nie aufhörte auf der Welt: dass die Sorge um die Menschen nicht so lukrativ war wie die Sorge ums Geld. Man hätte gern erlebt, dass es endete, das Streben nach immer mehr, aber vor allem das Töten.