Krieg 54

Der Krieg war acht Jahre lang nicht ohne Waffen zu beenden gewesen. Warum sollte das jetzt möglich sein, ein Jahr voller Gewalt später?
Es gab ja Hoffnung. Immer wieder machten Menschen auf sich aufmerksam, die Gutes für die Zukunft der Welt wollten. Über ihre Methoden konnte man geteilter Meinung sein. Über ihre Ziele eigentlich nicht mehr. Und doch war man auch über ihre Ziele geteilter Meinung.
Binnen einer Woche hatte eine Konferenz einen Schritt zum Schutz der Weltmeere beschlossen, einen größeren Schritt als je zuvor; und Hunderttausende nicht nur junge Menschen waren auf die Straßen gegangen, um für den Erhalt der Lebensgrundlagen zu demonstrieren; und eine kleinere Gruppe hatte – alles innerhalb derselben Woche – zum wiederholten Male einen symbolträchtigen Ort verschmutzt, ebenfalls um darauf aufmerksam zu machen, dass es so nicht weitergehen könne auf Planet Erde.
Währenddessen ging der Krieg weiter, seit 54 Wochen jetzt, nein, seit acht Jahren und 54 Wochen, und im Fernsehen wurde weiter darüber diskutiert, ob er ohne Waffen zu beenden wäre, dieser Krieg. Er war acht Jahre lang nicht ohne Waffen zu beenden gewesen. Übrigens auch nicht mit dem Bau einer Pipeline für fossile Brennstoffe. Warum sollte der Krieg jetzt, ein Jahr voller Gewalt und eine zerstörte Pipeline später, ohne Waffen zu beenden sein?
Es fehlten Antworten. Überall fehlten plausible Antworten. Die nicht nur jungen Demonstrantinnen und Demonstranten forderten das Ende der umweltfeindlichen Maschinen. Die nicht nur alten Politikerinnen und Politiker äußerten Verständnis, aber manche von ihnen fanden beispielsweise auch: Maschinen, die fossile Stoffe verbrannten, seien gar nicht schlecht – nur die fossilen Stoffe seien schlecht. Man müsse eben etwas anderes in den Motoren verbrennen. Die Forschungserkenntnis, dass es genauso schlecht war, etwas anderes zu verbrennen, hatte offenbar noch nicht alle Köpfe erreicht.
54 Wochen Krieg, Jahrzehnte des Raubbaus am Heimatplaneten, aber die größte Aufregung entstand darüber, dass die kleine Gruppe aus Protest eine Flüssigkeit an ein Monument der Grundrechte schüttete. Die Aufregung richtete sich gegen den Protest, nicht gegen die Ursache.
Die Menschen wollten die Meere retten, aber sie holten weiter die Fische aus den Meeren heraus und füllten die Meere mit Plastik auf. Die Menschen wollten das Klima retten, die Wälder retten, aber nicht allzu schnell – zuerst musste man noch eine Anzahl von Jahren weitermachen fast wie bisher und dafür Dörfer und Wälder zerstören. Die Menschen wollten keinen Krieg, doch weil manche Menschen anderer Meinung waren, brachten sie einander weiter um.
Die Hoffnung aber war auch nach 54 Wochen Krieg nicht totzukriegen.