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Krieg 53

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Von: Thomas Stillbauer

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Zahlreiche Teilnehmer der Demonstration „Aufstand für den Frieden“ halten Schilder und Transparente in die Höhe. Am Brandenburger Tor in Berlin haben sich mehrere Tausend Menschen zu einer Kundgebung für Verhandlungen mit Russland im Ukraine-Krieg versammelt.
Zahlreiche Teilnehmer der Demonstration „Aufstand für den Frieden“ halten Schilder und Transparente in die Höhe. Am Brandenburger Tor in Berlin haben sich mehrere Tausend Menschen zu einer Kundgebung für Verhandlungen mit Russland im Ukraine-Krieg versammelt. © Monika Skolimowska/dpa

Früher gingen die Menschen auf die Straße, um den Frieden zu sichern, jetzt aber, um den Krieg zu beenden. Die Kolumne „Times mager“.

Dreiundfünfzig Wochen Krieg, nein, acht Jahre und dreiundfünfzig Wochen Krieg, und die Welt hatte sich weiter verändert. Die Menschen hatten sich weiter verändert.

Einst waren die Menschen für etwas Gutes auf die Straße gegangen, für den Frieden. Viele, viele Menschen waren einst für den Frieden auf die Straße gegangen, in Zeiten, als durchaus Frieden herrschte, wenn auch nicht überall, denn im Prinzip herrschte nie überall gleichzeitig Frieden.

Aber als der Frieden noch als etwas galt, dem sich im Grunde alle verpflichtet fühlten, gingen die Menschen zu Tausenden, Abertausenden, Zigtausenden auf die Straße, um diesen Frieden zu sichern, und zwar möglichst ohne Waffen. Darauf, so schien es zumindest, konnten sich die Menschen letztlich doch einigen, auch wenn sie über vieles stritten.

Jetzt aber gingen die Menschen auf die Straße, um den Krieg zu beenden. Und weil sie sich verändert hatten, die Menschen, gingen einige von ihnen an dem einen Tag auf die Straße, um den Krieg zu beenden, und die anderen gingen an dem anderen Tag auf die Straße, ebenfalls, um den Krieg zu beenden. Wie der Krieg jedoch zu beenden war, darin unterschieden sich die Auffassungen.

Während die erste Gruppe wollte, dass derjenige mit dem Krieg aufhörte, der damit angefangen hatte, und dass er alles wieder hergab, was ihm nicht gehörte und was er noch nicht endgültig zerstört hatte, wollte die zweite Gruppe etwas anderes. Sie forderte, angeführt von zwei Personen, das überfallene Land solle mit dem aggressiven Land einen Kompromiss aushandeln. Wie der aussehen sollte, war unklar. Ging es darum zu sagen: Ihr habt unsere Leute getötet und vergewaltigt, unser Land in Trümmer gelegt, unsere Kinder gestohlen, also lasst uns Frieden machen – war es tatsächlich das, was sie wollten? Dann hätten sie doch in das überfallene Land reisen können, die beiden Personen mit ihren Getreuen, und den Vorschlag direkt dort unterbreiten. Menschen aus der ersten Gruppe schlugen vor, die beiden Personen sollten ihren Friedensappell noch besser an das andere Land richten. An das Land, das angefangen hatte.

Die ganz Gescheiten jedoch wussten längst, wie dieser Krieg zwangsläufig ausgehen müsse. Dass es nie wieder werden würde wie früher. Dass dem überfallenen Land ohnehin keine Gerechtigkeit widerfahren könne. Dass es also besser aufgeben solle. Blutvergießen vermeiden.

Und die mit den gebrochenen Herzen fragten, wie es sein könne, dass Tausende dafür auf die Straße gingen, all die schrecklichen Verbrechen einfach hinzunehmen. 53 Wochen Krieg, und die Welt hatte sich stärker verändert, als man wahrhaben wollte.

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