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Krieg 49

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Von: Thomas Stillbauer

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Joshi, Matthias und Eike (von links) sind Mitglieder der Berliner Punkrock-Band ZSK.
Ace, Joshi, Matthias und Eike (von links) sind Mitglieder der Berliner Punkrock-Band ZSK. © Matthias Zickrow/dpa

Eine Berliner Punkband will Musiker-Kollegen aus Charkiw mit auf Tour nehmen. Eine Berliner Punkband will Musiker-Kollegen aus Charkiw mit auf Tour nehmen. Die Kolumne „Times mager“.

Irgendwann holte es dich wieder ein, dass du hier monatelang am Jammern warst, immer unzufriedener wurdest, dünnhäutig, dann wütend. 49 Wochen Krieg, 49 Wochen wachsende Lethargie, irgendwann kamen dir die Ärzte in den Sinn, die fragten, wenn auch in anderem Kontext: „Ist das noch Punkrock? Ich glaube nicht!“ Und dann diese E-Mail zur neuen Platte von ZSK.

ZSK war eine 25 Jahre alte Berliner Punkband, ihre Mitglieder hießen Joshi, Matthias, Eike, Beni, Niki und Flori. Sie jammerten nicht. Sie rockten. Sie hatten 2021 eine Nummer aufgenommen, die hieß: „Ich habe Besseres zu tun“, da lief Christian Drosten als Videospielfigur durchs Bild, kickte Boulevardgazetten und „Querdenker“ aus dem Weg und konzentrierte sich auf das Wesentliche: Corona killen.

Zwei Jahre später dies: „Mitten im Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine startete unser Crewmitglied Hannes eine Rettungsaktion“, schrieb die Band als Einblendung in ihr neues Musikvideo „Himmel“. Hannes fuhr mit dem Tourbus jede Woche über die Grenze, brachte Hilfsgüter und nahm auf dem Rückweg Flüchtlinge mit. Hannes, war zu erfahren, lernte auf seinen Touren eine Punkband aus Charkiw kennen. Sie hieß Bezlad, was so viel bedeutete wie: Chaos.

Die strubbeligen Kollegen aus Charkiw fragten, ob die Berliner ein Mikrofon für sie hätten, weil sie trotz Krieg weiter Musik machen wollten. „Also kauften wir Kabel, Mikros, Saiten, Sticks und legten noch einen Gitarrenverstärker drauf.“ Dann setzt im Video die Musik ein, jagende drei Minuten, dazu Bilder von Lieferwagen voller Hilfsgüter. „Himmel“: Morgens aufwachen/Verschlafen rausschauen/Du siehst, wie sie Panzersperren in den Straßen aufbauen/Schon hörst du die Sirenen/Du rennst jetzt um dein Leben/Menschenmassen, die verzweifelt in die U-Bahn-Schächte strömen.

Am Himmel hinterlassen die Raketen blasse Spuren/Während wir uns bequem/Auf unserer Fernsehcouch ausruhen/Feuer, Rauch, ein dumpfer Knall/Niemand versteht hier, was das alles soll.

Die Luft riecht nach Benzin/Alles geht wie von selbst/Geliebte Menschen bauen verzweifelt Molotowcocktails/Die ganze Welt schaut zu/Und hält den Atem an/Gibt es denn niemanden, der den Wahnsinn endlich stoppen kann?

Acht Jahre und 49 Wochen Krieg, den Wahnsinn stoppen, das war schwierig. Aber du konntest was machen, und du konntest diese Band feiern, die es vorlebte. Hannes, Joshi, Matthias, Eike, Beni, Niki und Flori, die uns übrigens noch etwas zu sagen hatten: „Als Nächstes versuchen wir, die Band hier mit auf Tour zu nehmen. Scheiß Krieg! Stop the War!“ Ist das noch Punkrock? Ich glaube schon.

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