Krieg 15
Was soll man noch schreiben? Fünfzehn. Da werden die Leute langsam gleichgültig.
Wie lang sind 15 Wochen? Babys sind nach 15 Wochen Leben an der Luft schon vergnügt, wiegen sechs, sieben, acht, neun Kilo und haben ihren ersten Schwimmkurs vor sich. In 15 Wochen kannst du ein richtiger kleiner Mensch werden. Fast kannst du schon nach den Dingen greifen. Beinahe umarmst du schon die Welt.
Ein Semester an der Uni dauert 15 Wochen. Goethe-Seminar, Büchner, Kleist-Vorlesung, Nibelungenlied, Grundkurs Bairisch mit ai, Kommunikationspsychologie, Film in der NS-Zeit, Grundkurs Volleyball II, Schwimmen II, Basketball II, Leichtathletik II, Trainingslehre, Sportsoziologie, Spanisch bei Señor Olarieta, alles in 15 Wochen. Handwerkerkrise. Kunden warten 15 Wochen auf den Dachdecker. Werkstoff- und Ersatzteilkrise. Kundinnen warten 15 Wochen auf Bremsbeläge für ihre Fahrräder.
15 Wochen Krieg. Was soll man noch schreiben. Fünfzehn. Allein darüber zu schreiben ist schon eine Kümmernis. Es fällt dir nach 15 Wochen Krieg auch nicht mehr viel ein. Aber. Andere schreiben nicht nur darüber. Wenn du 15 Wochen Krieg sogar selbst ertragen musst, am eigenen Leib. Wie muss das sein. Du hast friedlich dein Leben gelebt, so gut es ging, und dann Krieg. Wie muss das sein, wenn du nicht nur darüber schreiben musst – wenn du mittendrin bist im Krieg, wie?
Hier werden die Leute gleichgültig. Wie sie nach 115 Wochen Corona gleichgültig sind, so sind sie nach 15 Wochen Krieg schon gleichgültig. Nicht alle, längst nicht alle. So viel Empathie. Aber Leute beispielsweise, die einen Tweet lesen, in dem jemand traurig ist, weil die Ukraine das entscheidende Fußballspiel gegen Wales verloren hat, und jetzt kann die Ukraine nicht dabei sein bei der Weltmeisterschaft. Da gönnt jemand auf Twitter auch den Walisern durchaus, dass sie endlich mal wieder bei der WM mitspielen, das erste Mal seit 64 Jahren, aber er würde sich so sehr wünschen, dass auch die Ukraine dabei wäre, als Zeichen an die Welt, schaut her, hier sind wir, und er schlägt vor: einfach trotzdem mitspielen lassen. Aus Solidarität.
Nein, kommt es da aus allen Richtungen, schaut euch diesen Idioten an, haha, das ist doch ein sportlicher Wettbewerb, und wer sich sportlich nicht qualifiziert, kann nicht mitspielen. „So funktioniert die Qualifikation nicht, Dude!“ Und was, wenn die Ukraine mitspielen dürfe, mit Somalia sei, mit Pakistan, Jemen, Syrien, „den Kurden“, Philippinen, Indien, Nigeria, Angola – ob die dann auch alle mitspielen dürften. „Aus Solidarität, Digger?“
Fußball im Winter in Katar macht sowieso nichts besser, schon klar. Und 15 Wochen Krieg sind viel zu viel Krieg, egal wo auf der Welt, 15 Wochen zu viel.