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Krieg 11

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Von: Thomas Stillbauer

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Ein Symbol für die Solidarität mit der Ukraine.
Ein Symbol für die Solidarität mit der Ukraine. © Daniel Reinhardt/dpa

Elf Wochen Krieg, und ein deutscher Sozialpsychologe erklärt dem überfallenen Staat, wie er sich gegenüber Deutschland zu verhalten hat.

Er belehrt im Fernsehen auf der Grundlage einer eigenen, kollektiven, „ganz präsenten Kriegserfahrung“, die rund achtzig Jahre zurückliegt, jene, die damals überfallen wurden und die nun wieder überfallen werden. Er tut dies abwechselnd mit erhobenem Zeigefinger, mit Daumen und Zeigefinger, zum Kreis geformt, mit schräg gelegtem Kopf.

„Bleiben Sie mal ein bisschen beim Zuhören und nicht beim Kommentieren“, befiehlt er dem, der gerade eine ganz präsente Kriegserfahrung macht. Es ist kaum zu ertragen. Doch, natürlich ist es zu ertragen. Es gibt andere, die Zumutungen ertragen, die tatsächlich nicht zu ertragen sind, aber die ertragen die Belehrten. Wir müssen nur das Zusehen ertragen, wir müssen nur Publikum sein beim Belehrtwerden, beim Bombardiertwerden, beim Massakriertwerden. Und wenn wir auch sonst nicht viel tun können, tun wir wenigstens das.

Elf Wochen Krieg, Millionen fliehen, und bei uns: großes Mitgefühl samt kleinen Fluchten. Um Ostern erblühten ganz sacht ukrainische Gesamtszenarien in Form von Rapsfeldern unter klarem Himmel, Gelb unter Blau, eine Kooperation der Landwirtschaft mit der Atmosphäre. Mit dem Weltall. Jetzt stehen sie in satten Farben zusammen, die Felder und der Himmel, wir hier unten, die da oben. Wie lang?

Es ist die Zeit des Handelns oder Nichthandelns, aber zunächst, vor allem Handeln oder Nichthandeln, ist es die Zeit des Redenschwingens übers Handeln oder Nichthandeln. Und die Zeit der Symbole.

Aber elf Wochen Krieg, und die blau-gelben Armbänder sind schon zerbrochen. Sie waren von minderer Qualität, das zeigte sich auf Anhieb. Was gab es schon, zu Kriegsbeginn, an Solidaritätszeichen? Wenig gab es. Schlechte blau-gelbe Armbänder gab es. Zerbrochen, noch bevor die russischen Fahnen durch die deutschen Innenstädte fuhren, zu demonstrieren, es gebe auch die Gegenmeinung. Es gibt immer auch die Gegenmeinung, egal, was ist. Da kannst du für den Weltfrieden demonstrieren und für rosa Wolken, irgendwer wird für keinen Weltfrieden sein und für lila Wolken. Es ist das gute Recht von irgendwem. Hier ist es das gute Recht. Anderswo ist es schlecht.

Aber elf Wochen Krieg, und die Autoaufkleber mit den ukrainischen Farben verblassen schon in der Sonne. Als Erstes schwindet das Gelb, zurück bleibt nur Blau-Weiß. So ähnlich war es mit dem norwegischen Autoaufkleber aus friedlichen Zeiten. Da schwand das Rot, aus Norwegen wurde Finnland, dann schwand auch das Blau. Was bleibt, wer weiß.

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