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Hose

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Von: Stephan Hebel

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Warum bewahren Menschen Hosen auf, die ihnen längst zu klein geworden sind?
Warum bewahren Menschen Hosen auf, die ihnen längst zu klein geworden sind? © nito/imago

Von Partys und zu engen Hosen: Plötzlich haben alle mitgesungen bei den deutschen Schlagern. Seltsam, denn sie wollen sie ja nie angehört haben.

Eine rasche Umfrage in kleiner Runde ergab, dass sich in den Schränken aller Anwesenden jeweils mindestens eine zu klein gewordene Hose befinde. Die gesprächsweise durchgeführte Auswertung dieses Befundes ergab des weiteren, dass die Aufbewahrung des engen Kleidungsstücks weniger der unrealistischen Hoffnung geschuldet sei, es jemals wieder tragen zu können, als vielmehr der Erinnerung an schlankweg bessere Tage.

Die kleine Runde, das dürfte bis hierher bereits klar geworden sein, bestand aus nicht mehr ganz jungen Menschen, die ihre inzwischen beengenden Hosen vor Jahren, teils Jahrzehnten erworben hatten. Zu jener Zeit also, in der das Leeressen von Tellern beim Besuch im heimischen Elternhaus Pflicht war, um die nachkriegsgeprägten Eltern nicht zur Verzweiflung zu bringen, und beim Nudelverzehr in der Wohngemeinschaft blanke Notwendigkeit, um der Flüssigkeitsaufnahme am späteren Abend eine Grundlage zu geben.

All das, auch darüber herrschte Einigkeit, habe in einer gewissen Lebensphase zwar nicht zu einem Übermaß an Gesundheit, aber glücklicherweise auch nicht zu nennenswerten Erweiterungen des Körperumfangs geführt. Zu diesen sei es erst gekommen, als zu Pink Floyd nur noch auf mindestens 40. Geburtstagen getanzt worden sei.

In jener Zeit, ergänzte jemand, sei auch das Abspielen alter deutscher Schlager aufgekommen. Er erinnere sich noch genau, dass plötzlich alle Anwesenden auf einer Party mit vollständiger Textsicherheit mitgesungen hätten, obwohl ihre Behauptung, mit dem reaktionären Schund niemals in Berührung gekommen zu sein, erst wenige Jahre zurückgelegen habe. Nun neigte die kleine Runde, bei der auch die 40. Geburtstage schon etwas zurücklagen, zwar zur Nostalgie, aber keineswegs zu schlechter Laune, schon gar nicht beim Verzehr von exquisitem Gulasch mit anschließendem Himbeersorbet. Die Hosen, darüber waren sich wiederum alle einig, sollten auch künftig nicht als Zeichen der Trauer über vermeintlich verlorene Jahre in den Schränken verweilen, sondern vielmehr als Symbole des natürlichen Wandels, der ganz selbstverständlich jedem Ding seine Zeit gebe, „Windhosen of Change“, sagte jemand, aber schon spielte ein anderer Pink Floyd auf seinem Telefon ab.

Es hätte nicht viel gefehlt, und die kleine Runde wäre wenn auch mit etwas Mühe aufgestanden, um zu tanzen, aber es brach eine Diskussion über die Frage los, ob „Dark Side of the Moon“ überhaupt dafür geeignet sei. So blieben ohne formellen Beschluss einfach alle sitzen und versicherten einander, dass es geeignetere Mittel gebe, die Welt besser zu machen, als schlechtes Essen.

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