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Horror

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Von: Judith von Sternburg

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The Killing of a Sacred Deer: Nicole Kidman, Colin Farrell, 2017.
The Killing of a Sacred Deer: Nicole Kidman, Colin Farrell, 2017. © Courtesy Everett Collection/Imago

Viel zu spät „The Killing of a Sacred Deer“ geguckt. Aber die grausige Geschichte passt perfekt auch in diese Tage.

Wenn man mit mehrjähriger Verspätung den Film „The Killing of a Sacred Deer“ von Giorgos Lanthimos gesehen hat, ist man sehr allein mit dieser höllischen Geschichte. Einer Iphigenie-Geschichte, bei der sich der Vater zweier gelungener Kinder und Mann einer Frau, die aussieht wie Nicole Kidman (und, mein Gott, es ist Nicole Kidman) das Opfer selbst aussuchen muss. Unter diesen dreien, selbstredend.

Was könnte der schlimmste Moment sein? Der, in dem Nicole Kidman zu Colin Farrell sagt, es sei vernünftiger, nicht sie zu töten, auch weil sie vielleicht noch ein Kind bekommen könnte? Der, in dem Colin Farrell den Schuldirektor fragt, welches der Kinder er für begabter halte? Oder doch der, in dem man selbst begreift, was das Schlimmste ist: Dass der Mensch sich auch auf das Grauen rasend schnell einstellen kann? Er staunt, er ächzt, aber schon fängt er an, darüber nachzudenken, was zu tun ist. Pure Ökonomie, im Film wie im Menschen.

Die Aktualität einer Horrorgeschichte liegt täglich auf der Hand. Aktuell auf der Hand liegt dazu und vor allem der Horror der gruselig raschen Gewöhnung an den Horror. Auch in der Realität ist der Mensch darin sehr befähigt und muss es sein, um zu überleben. Gegenwärtig in der Ukraine zum Beispiel, während gegenwärtig in Deutschland die Gewöhnung eher darin liegt, sich an den Horror anderswo zu gewöhnen. Sich an den Horror anderswo zu gewöhnen: eine der verachtungswürdigsten menschlichen Eigenschaften, auch wenn sie das Leben bequemer macht. Sofern man sich nicht anderswo befindet.

Derweil im Fernzug der DB, wo weiterhin die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske, wir empfehlen eine FFP2-Maske, gilt. Ein Detail bloß in einer anderen Gewöhnungsgeschichte, kam einem beim ersten Maske-Anprobieren wie eine Mordssache vor, war dann halb so wild. Bei der Familie, sechs Personen, verhält es sich so: Der ältere Sohn, schon groß, trägt eine medizinische Maske, bilderbuchmäßig. Die Eltern tragen medizinische Masken mit freier Nase. Die Großeltern tragen keine Masken, bis sich der Schaffner nähert. Da sind sie flugs aufgesetzt, man weiß, was Recht und Ordnung ist. Man hat aber nicht mitbekommen, was ein Ruheabteil ist. Der ältere der beiden Jungen hat es durchaus mitbekommen. Er macht die Großeltern verlegen darauf aufmerksam. Die meckern lieber ein bisschen rum, weil die Kinder beim Malen herumzuzappeln.

Auf Familienkonstellationen blickt man nach „The Killing of a Sacred Deer“ auch anders als zuvor. Missmutiger, misstrauischer.

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