Gummibaum

Verliert der Ficus Benjamini Blätter, weil man zu viel Billie Eilish gehört hat? Nicht auszuschließen, wie die Wissenschaft festgestellt hat.
Da. Da liegen schon wieder ein, zwei, vier gelbe Blätter unter dem Ficus Benjamini. Zu viel gegossen? Zu wenig gegossen? Zugluft? Die Orchidee will seit Monaten keinen Blütenstand mehr bilden, so behutsam aber regelmäßig sie auch gedüngt wird. Sogar der Gummibaum sieht ein bisschen gelbgrün aus um die Nase, äh, Blattspitze. Und lässt sich hängen. Obwohl wir ihm alle zwei bis drei Tage gut zureden. Und kürzlich haben wir ihn ein wenig gestreichelt. Es können also nicht Luft und Liebe sein, die ihm fehlen.
Zur rechten Zeit kommt da eine Meldung aus der Wissenschaft, von einem Forschungsteam um Marta Sole von der technischen Universität Katalonien, dass auch Pflanzen von Lärm gestört und geschädigt werden können. Keineswegs hat die Wissenschaftlerin winzige Pflanzenohren entdeckt, wohl aber, dass das im Mittelmeer wachsende Neptungras, das kaum grasiger und saftiger aussehen könnte, bereits leidet, wenn man es auch nur für zwei Stunden mit dem üblichen Unterwasserlärm beschallt: den Antriebsgeräuschen von Schiffen, Bauarbeiten wie das Einrammen von Pfählen, Sprengungen, Bohrungen. Der Lärm führte, so ein Bericht in „Communications Biology“, zu einer Veränderung in den Strukturen des Grases, dies wiederum beeinflusst seine Fähigkeit, die Schwerkraft wahrzunehmen und Energie zu speichern.
Nun haben wir keine Schiffsschrauben im Wohnzimmer, auch kein Neptungras, aber ein doch vielfältiges Musikprogramm, darunter manches, was wiederum andere Menschen und vielleicht ja auch der Gummibaum, könnte er sprechen und sich beschweren, als „Lärm“ bezeichnen würden. Schon Bachs Orgelwerke können einen – und womöglich ja auch den Ficus – im Innersten bewegen. Wie also erst Black Sabbath oder Motörhead. Heino Metal, eine eigene Kategorie. Die Wildecker Herzbuben. Vielleicht Billie Eilishs fieser kleiner Reim „everbody dies /surprise surprise“.
Der Italiener Mauro Morandi hat mehr als 30 Jahre lang allein auf der Insel Budelli nahe der Küste von Sardinien gelebt, ehe der 82-Jährige nun dem Druck der Behörden (und seines Alters) nachgeben und in ein Apartment ziehen musste. Die Presse stand Schlange beim „Robinson Crusoe von Budelli“, der britische „Guardian“ zitiert ihn mit den Sätzen: „Jetzt gibt es dauernd Lärm. Musik, Motorroller, Leute ... es lenkt einen so sehr ab, dass man keine Zeit mehr zum Denken hat.“
Auch das Times mager hat manchmal keine Zeit mehr zum Denken. Dies nicht immer aus Lärm-Gründen und eher wenig aus Musik- und Motorroller-Gründen, immer aber aus Leute-Gründen.