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Gott

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Von: Lisa Berins

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Deckenfresko, Rom, Vatikan, Sixtinische Kapelle
„Die Erschaffung Adams“ von Michelangelo. © Bruno Fontanarosa/Imago

Falls da wirklich jemand an der Himmelspforte wartet, sollte dieser jemand am besten so schön verschmitzt lächeln wie diese kunstvolle Ausführung. Die Kolumne „Times mager“.

Gottes Umriss – ein kräftiger, grauer Strich auf mintgrünem Papier; mit viel Konzentration wurde der Stift so geführt, dass er möglichst wenig abgesetzt werden musste: Gott aus einem Guss sozusagen. Er steht oder schwebt vor einem gelbleuchtenden Strahlenkranz – praktischerweise dasselbe Gelb, aus dem auch Gottes blondes Haupthaar ist. Das Kunstwerk wurde gerade überreicht, als zweites Geschenk. (Das erste war das Bild eines „ganz, ganz alten, amerikanischen Kriegsschiffs“.)

Die Erziehungsberechtigten des Künstlers schauen sich vielsagend an. „Wer ist noch mal seine Religionslehrerin?“ „Oh, die! Vielleicht mal ein Gespräch suchen?“ Nicht, dass es schlimm oder bedenklich wäre, wenn ein Achtjähriger nach der Schule religiöse Motive malt, um sie zu verschenken – oder? Außerdem: Die Uhr tickte, die Geburtstagsfeier nahte, ein Geschenk musste noch irgendwie her. Und es war wohl einfach gerade niemand anderes da, die oder der sich als Porträtvorlage eignete…

Es ist wirklich ein smarter, sympathischer Typ geworden, dieser Gott aus einem Guss. Nicht zu vergleichen mit dem vor Strenge und Kraft strotzenden, mächtigen, mit nur einem elektrisierenden Zeigefinger Adam erschaffenden, rauschebärtigen Mann, den Michelangelo an die Decke der Sixtinischen Kapelle pinselte und der den aufschauenden Besucherinnen und Besuchern noch immer Respekt einflößt.

Der Gott aus einem Guss hingegen, der jetzt auf der Kaffeetafel liegt, ist eine lustige Gestalt, mit der man durchaus gerne mal einen trinken gehen würde – warum auch nicht. In dem freundlichen Gesicht mit spitzem Kinn sitzt ein verschmitztes Lächeln, die Kulleraugen schauen einen unverwandt und aufgeschlossen an. Mit weit ausgebreiten Armen empfängt er einen (aber was heißt hier eigentlich „er“? – der amorphe Körper ist recht ungeschlechtlich), als wollte er/sie sagen: „Willkommen, Kumpel(ine), komm mal rein, Schuhe kannste anlassen.“ Sein/ihr Berufsabzeichen, das Kruzifix, ist abgerutscht, es baumelt vergessen auf Hüfthöhe herum. Ist das nicht eine schöne Perspektive? Wenn einen tatsächlich irgendwann mal irgendwer erwarten sollte, an der Himmelspforte oder sonstwo, dann wäre so eine Type jedenfalls ein Hauptgewinn.

„Und jetzt“, sagt der Künstler, „noch was“. Er zieht ein weiteres Werk aus einem Versteck, das Beste hat er bis zum Schluss aufgehoben. Was kann jetzt noch kommen? Nach Gott? Es ist: ein Orca. Aus der Untersicht gezeichnet, mit sorgfältig ausgemalten schwarzen Flächen und gelbem Bauch (weiße Stifte sind ja oft Mangelware). Natürlich: Über diesen Giganten der Meere kommt nichts und niemand, nicht mal der coolste Himmels-Typ. Die Erziehungsberechtigten schauen sich an, sie lächeln jetzt selig.

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