Glück

Wünschen sich Französinnen und Franzosen etwa „gute Chance“? Nein, natürlich wünschen sie sich Glück. Aber warum gibt es keine Glücke, warum hat das Glück einen Plural?
Kurze Frage: Sind Sie glücklich? Wenn ja, haben Sie sozusagen Glück gehabt, zumal in einer Welt voller Unglück und voller Unglücke, was ja bekanntlich nicht dasselbe ist, womit wir bereits elegant beim Thema wären.
In dem Erfolgsroman „Die Anomalie“ des französischen Schriftstellers Hervé Le Tellier findet es eine der Figuren „bis heute faszinierend, dass das Deutsche nur ein einziges Wort für bonheur und chance hat, das Glück“. Ehrlich gesagt, die Figur hat recht, und außerdem führt dieser Tatbestand zu einem ziemlichen Durcheinander, außer natürlich für diejenigen, die es gar nicht merken, weil Deutsch ihre Muttersprache ist.
Es ist ja nämlich so: Wenn Sie auf einer Bananenschale ausrutschen, aber rücklings auf ein Sofa fallen statt, sagen wir, mit dem Kopf auf das Straßenpflaster, dann haben Sie Glück gehabt oder zumindest Glück im Unglück. Womit das Durcheinander schon anfängt, denn wie Sie sehen, stellt „ein Unglück“ einen Vorgang dar, der sich im schlimmsten Fall sogar wiederholen kann und eh ständig wiederholt („Unglücke“). Aber haben Sie schon mal das Wort „Glücke“ gehört?
Egal, Sie mögen sich in Sachen Bananenschale Ihres momentanen Glückes erfreuen, aber glücklich müssen Sie deshalb noch lange nicht sein, auch wenn Sie aller Welt erzählen, der Sturz sei „glücklich“ verlaufen. Andererseits ist Ihnen zwar ein Malheur passiert, ein Unglück, aber dass Sie deshalb gleich unglücklich sein müssten, ist nun wirklich nicht gesagt, denn Sie hatten ja, wie erwähnt, Glück, wenn auch im Unglück.
Nehmen wir nun weiter an, Sie sehen Ihr Glück im Unglück als Hinweis des Schicksals und entscheiden sich, Lotto zu spielen, also Ihre Chance zu nutzen. Viel Glück, werden Ihnen wohlgesonnene Menschen deutscher Zunge sagen, Französinnen und Franzosen aber eher „bonne chance“, was keineswegs „gute Chance“ bedeutet, sondern, Sie wissen es, „viel Glück“.
Sollten Sie allerdings ohnehin rundum glücklich sein, wird Ihnen der Franzose und die Französin nicht zu Ihrer „chance“ gratulieren, sondern zu Ihrem „bonheur“, aber die werden schon wissen, warum, sie haben sicher ihr eigenes Durcheinander, und das wollen wir ihnen lassen, wir haben mit unserem genug zu tun.
Schön wäre es, wenn wir im Deutschen ein wohlklingendes Wort für jenes tiefe Glück hätten, das nicht nur das Ausbleiben eines schweren Unglücks oder einen Lottogewinn beschreibt, sondern einen allgemeinen Zustand des Seins. „Glücklichkeit“ klingt blöd, und kommen Sie jetzt nicht mit „Glückseligkeit“, das ist nämlich nicht ganz dasselbe, auch wenn sie in Frankreich tausendmal „bonheur“ dazu sagen.