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Von: Thomas Stillbauer

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Personenbegrenzung in der Apotheke – und plötzlich steht man Schlange. (Symbolbild)
Personenbegrenzung in der Apotheke – und plötzlich steht man Schlange. (Symbolbild) © Monika Skolimowska/dpa

Drinnen, draußen, eine Tür dazwischen: Kann man das noch Schlangestehen nennen?

Im Curriculum des lebenslangen Lernens hat sich das Schlangestehen zuletzt einen Platz ganz vorn erdrängelt. Es tritt in vielerlei Gestalt auf, häufig auch als Schlangesitzen. Und nachdem wir hier gestern die langen Schlangen behandelt haben, verarzten wir heute die kurzen.

Folgende Lage. Gesellschaftsform: gespalten wegen Pandemie. Zeit: morgens, kurz nach Ladenöffnung. Geschäftszweig: Stadtteilmetzgerei. An der Tür hing bis vor einigen Monaten ein Schild: „Maximal zwei Kunden“. Das Schild verschwand irgendwann. Ursache unbekannt. Womöglich gilt es im Stadtteil als wichtige soziale Errungenschaft, zu zwölft auf zwei Quadratmetern die Jagdwurst zur Strecke zu bringen.

Dem Zutritt sind also keine formalen Grenzen mehr gesetzt, jedenfalls nicht durch die höchste vor Ort herrschende Autorität, den Stadtteilmetzger. Folglich betritt nun jeder Mensch, der sich dem Laden nähert, unverzüglich selbigen. Dass drinnen lediglich eine einzelne Wurst- und Fleischverkäuferin zur Verfügung steht, manchmal zwei, spielt keine Rolle. Warum draußen warten, wenn man auch drinnen genervt seine ausgeleierte medizinische Maske von Zeit zu Zeit wieder über die Nase schieben kann, bis nach vier Sekunden wieder ungefiltert das Aroma der Frikadelle regiert?

Den anderen, spezielleren Fall hat dieser Tage ein Podcast ohne richtigen Namen diskutiert, hier am Beispiel einer Apotheke. Drinnen: zwei Kundinnen. Draußen ein Schild: „Max. 4 Kunden“ sowie zwei weitere wartende Personen. Das Geschlecht lassen wir ausnahmsweise unberücksichtigt.

Jetzt kommen Sie, die fünfte Person, hinzu. Stellen sich natürlich hinten an. Als dezenter Mensch. Die zwei Leute vor Ihnen werden schon ihre Gründe haben. Wahrscheinlich bedient drinnen eh nur eine Fachkraft. Oder zwei. Aber sicher nicht vier.

Es kommt, wer kommen muss: der Forsche. Sieht die Schlange. Liest das Schild. Zählt die Besetzung drinnen durch. Öffnet die Tür. Geht schulterzuckend rein.

Der empörte Protest wäre nun eindeutig Sache der Person, die der Tür am nächsten steht, räumlich betrachtet. Sie protestiert aber nicht. Sie steht nur. (Kann man das noch Schlangestehen nennen, wenn eine Tür dazwischen ist? Oder eher Abgetrennter-Geckoschwanz-Stehen?) Die Person dahinter: ebenso unbeteiligt. Schon wächst die Verunsicherung: Wollen die überhaupt rein? Oder verhält es sich mit ihnen wie mit jenen Verkehrsbeteiligten, die zu Fuß vor dem Zebrastreifen stehen und über die Lage der Weltwirtschaft nachdenken?

Früher hätte man sich beim Schlangestehen ein Beispiel an den Engländern nehmen können. Aber die sind ja schon lang aus der Reihe getanzt.

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