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Fleischkäse

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Von: Lisa Berins

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Dann doch lieber als Fleischkäse.
Dann doch lieber als Fleischkäse. © Oliver Berg/dpa

Bald ist Karneval - als was geht man da überhaupt noch?

Als Kind aus dem Rheinland ist man mit ihnen groß geworden: Kannibalinnen und Kannibalen mit Baströckchen und Knochen in den Haaren, blackgefacete „Schwarze“ mit Kunsthaar-Afro, „Indianer“-Squaws, „Chinesinnen“ und „Chinesen“ mit gelbgepinselten Gesichtern und aufgemalter schmaler Lidspalte. Irre, denkt man heute, und es bleibt einem die Frikadelle im Hals stecken, wenn man solche Gestalten durch den Straßenkarneval torkeln oder in den Kneipen tanzen sieht. Damals war das skurrile Setting „normal“, vollkommen ejal, wer hier traumatisiert, wem auf den Schlips getreten, wer diffamiert oder beleidigt wurde.

Dem Karnevalsjott oder wem auch immer sei Dank, dass es heute anders ist. Alle paar Jahre wird die Kostümpolicy von der kritischen Mehrheit überdacht und upgedatet. Wer den Karneval ernst nimmt – und dass er eine ernste Sache ist, das wissen wir ohnehin – und wer nicht im altmodischen Rassist:innen-Outfit aufschlagen will, der oder die denkt noch mal genau über das Kostüm nach. Die kleine weiße Prinzessin – muss sie wirklich sein, Stichwort: White Supremacy, und ist es pädagogisch wertvoll, wenn das Töchterchen als Mitglied einer absolutistischen, antidemokratischen Herrscherfamilie „geht“? Der Cowboy – na ja, Stichwort: Rollenklischee, Stichwort: Kolonialismus. Der Pirat – Gewaltverherrlichung und Legitimierung von Verbrechen?

So. Als was verkleidet man sich als Jeck am besten? Ein Blick auf die Website eines großen Kostümverkaufs, Suche nach Unverfänglichem: Aha, sexy Stewardess, sexy Krankenschwester, sexy Biene Maja, sexy Polizist/Polizistin, sexy Pilotin/Pilot, sexy (weibliche oder männliche) Nonne, oder: aufblasbarer Penis bzw. Ganzkörpervagina (nur als Männerkostüm zu haben). Andere Sparte: Diktatorenkostüm Kim Jong Un mit Nuklearraketen-Accessoire. Vielleicht doch lieber ein Lebensmittel-„Klassiker“: ein Senfglaskostüm, ein „Kinderschokoladenriegel“-Outfit, oder: Man geht als Fleischkäse. Das Kostümhighlight in „limitierter Auflage“ – so bewirbt es ein Supermarkt-Prospekt, für nur 29,99 Euro. Eine braun-rote Scheibe (Fleisch) ist da zwischen beige Teile (Brötchen) geklemmt, etwas Gelbes (Senf) fließt heraus, das Ganze trägt man praktisch über die Schulter geworfen als eine Art Kleid.

Man stellt sich vor, wie man als fancy Fleischkäse auf den „Zoch“ wartet – und ein Kreischen das „Viva Colonia“ zerschneidet. Dem vegan erzogenen Prinzesschen, dem vegetarischen Grundschul-Cowboy sind die Gesichter entgleist: „Mama, Papa, das ist aber doch kein Tofu, das ist Fleeeeeiiiisch!“ Und zack: Trauma. Nächstes Jahr kommt der Seitan-Leberkäse als Kostüm. Und bis dahin kann man sich beruhigen. 100% Polyester, verspricht das Supermarkt-Magazin.

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