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Flanke

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Von: Stephan Hebel

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Beinahe kommen die Bilder von Flankenspielzügen einer Art körperlichen Verrenkung gleich, die sonst eher auf der Ballettbühne zu finden ist.
Beinahe kommen die Bilder von Flankenspielzügen einer Art körperlichen Verrenkung gleich, die sonst eher auf der Ballettbühne zu finden ist. © Sportfoto Zink / Daniel Marr/Imago

Fußball gucken zur Entspannung? Wenn einem bloß nicht auffallen würde, wie martialisch die Fußballberichterstatter-Sprache daherkommt.

Es war wieder Fußball unter der Woche, nur ein paar Tage, bevor der verfluchte Tag sich jährte, an dem ein imperialistischer Verbrecher die Nachbarschaft in Krieg und Krise gestürzt hatte. In solchen Zeiten funktioniert die Ablenkung vom Weltgeschehen durch Profisport-Konsum nur begrenzt, zumal sich ganz von selbst die Erkenntnis auffrischt, die wir manchmal beim Sehen und Hören der Reportagen schon fast vergessen hatten, weil die Kriege weiter weg und leichter zu verdrängen waren: dass die Sprache dieses Spiels eine durch und durch martialische ist.

Es ist nicht so, dass die Reporterinnen und Reporter sich niemals Mühe geben würden, einen zivilen Ton zu wählen, aber an der Fachsprache, die einst dem Krieg entlehnt worden sein muss, kommen sie noch schlechter vorbei als ein durchschnittlicher Stürmer an Kevin Trapp (und wenn Sie jetzt nicht wissen, wer das ist, sind Sie selber schuld).

Ja, mit dem Stürmer fängt es schon an, denn er überwindet im für ihn besten Fall das gegnerische Abwehrbollwerk im Sturm, um zum womöglich entscheidenden Treffer anzusetzen, mit dem er die Offensivkraft seiner Mannschaft belohnt oder von Lücken in der Defensive des Gegners profitiert. Wer weiß, vielleicht ist er über die rechte Flanke gekommen, auf der die Verteidigungslinie nicht hielt, und hat deren Deckung mit Leichtigkeit überwunden. Der alles entscheidende Schuss war dann nur noch Formsache, wie es immer so schön heißt.

Ein wenig Trost spendet die Tatsache, dass ausgerechnet die „Flanke“ sich von ihrer kriegerischen Bedeutung gelöst und, elegant in den Strafraum schwebend, ein sprachliches Eigenleben entwickelt hat: Einst bezeichnete sie die rechte oder linke Offensivseite, ganz so wie beim Militär die „rechte oder linke Seite der Gefechtsordnung oder Marschordnung einer Truppeneinheit“ (Wörterbuch), also den Ort, von dem ein „Flankenball“ geschlagen wurde. Dann aber verlor sich der Ball, und das „hohe oder halbhohe Zuspiel des Spielgeräts von der Seite des Spielfelds“ (Wörterbuch) verweigerte den Kriegsdienst und bemächtigte sich selbst des Namens „Flanke“.

Im Radio war am nächsten Morgen ein Spieler zu hören, es ging um den Gegner und um dessen Tor: „Die richtige Entscheidung zu treffen, ist manchmal nicht so einfach. So habe ich die falsche Entscheidung getroffen, so fällt dann das Tor. Aber ich glaube jetzt nicht, dass sie uns spielerisch zerstört haben.“

Er meint es nicht wörtlich und schon gar nicht zynisch, der Spieler, aber beim Zuhören entsteht diese traurige Irritation, dieser Gedanke an Zerstörungen, die alles andere sind als spielerisch.

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