Fett

Etwas Absurdes über Wien und das Fett und die Kunst: „Geh bitte, halt die Goschn und iss dein Würschtl.“ Die Kolumne „Times mager“.
Das Logo spielt mit Signalreizen: roter Untergrund, weiße Schrift. HERMANN’S steht da in Versalien über dem grafischen Senf oder Ketchup, darunter liegt die grafische Fleischrolle. Auf ihr steht: WÜRSTELSTAND. Es ist eine verlockende Einladung. Ein bisschen schlonzig zwar alles – die gläsernen Schiebefenster aber: erstaunlich sauber. Wir befinden uns in Wien, an einem besonderen Ort. Einem in seiner Unzulänglichkeit vollkommenen Zwischenort, der sich unter einer Lamellendecke mit Halogenstrahlern eingerichtet hat, in einer Betonhöhle mit integrierter Autostraße. Eine Auffahrt, vermutlich in ein Parkhaus, direkt neben der Essensausgabe. Davor, wie aus einer „Alltagsgeschichte“ von Elizabeth T. Spira herbeigebeamt: grün-weiße Stühle, braune Holzbank, eine Runde älterer Herren - natürlich. Die Männer sitzen lässig in Jacken gehüllt vorm 16er Blech (Ottakringer Bier), rauchend. Glut fällt in den bleiernen Stammtischaschenbecher. Die Wurstfrau wendet die Fleischwaren auf dem Grill. „Eine Käsekrainer und eine Bosna bitte.“
Ja ja, die Wiener:innen und ihr Fett. Ein Würstelstand an jeder Ecke, in jedem Gesicht, unter jedem Stein, in jeder Parkhausauffahrt. (Das ist natürlich übertrieben, es gibt auch Kaffeehäuser und Beisl. Aber in einer Glosse darf man sowas.) Das mit der besonderen Verbindung zum Fett ist nur halbübertrieben. Die verfetteten Skulpturen von Erwin Wurm zum Beispiel – Wurm lebt unter anderem in Wien und lehrte mal Bildhauerei an der dortigen Universität für Angewandte Kunst – reiner Zufall? Diese schwulstig ausufernden „Fat Sculptures“; fette Autos, fette Häuser, fett, fett, fett. Aufgedunsene Statussymbole, bissige Kommentare zur überbordenden Konsumgesellschaft.
Hermann’s Würstelstand ist ein Anti-Statussymbol. Dennoch gibt es hier Fett. Wurm arbeitet auch ohne Fett. In seinen „One Minute Sculptures“ zum Beispiel. Da trifft Mensch mit Alltagsgegenstand auf ungewöhnliche Weise zusammen und wird dabei fotografiert. Der Wiener Schauspieler Nicholas Ofczarek macht eine solche Skulptur. Er steht starr auf einem Metallmülleimer, mitten in der Stadt, vermutlich in Wien (obwohl kein Würstelstand zu sehen ist), in Unterhose. Zu bewundern ist das Foto in der Galerie des Burgtheaters.
Bei Hermann wird geliefert. Aus der „Eitrigen“ suppt der Käse. Sie glänzt schön. Man wird ein Kunstwerk, fast wie bei Wurm. Wäre es nicht toll, darüber ein absurdes Times mager zu schreiben – über Wien und das Fett und die Kunst? „Geh bitte, halt die Goschn und iss dein Würschtl.“