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Erdbirne

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Von: Thomas Stillbauer

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Vielseitige Kartoffel.
Vielseitige Kartoffel. © AFP

„Wie lange drinlassen?“ – „Bis sie fertig ist.“ Heute: die Kartoffel in der Literatur und anderswo.

Heute: K-Fragen in Haushalt und Literatur. Und in modernen Medien. Aber vor allem im Haushalt.

Nach einer Gesamtlebenszeit, die einen vor hundert Jahren bereits unter die Erde gebracht hätte, statistisch, erlernte der Mann nun die Zubereitung gekochter Kartoffeln. Salzkartoffeln. Pellexemplare hatten auch zur Debatte gestanden, aber man kann ja ruhig klein anfangen und dann erst größenwahnsinnig werden.

Nicht dass er im Umgang mit Kartoffeln ungeübt gewesen wäre. Schon als Schlüsselkind hatte er sich gelegentlich der Bratversion bedient. Ergebnis war stets ein zu großes und auch ästhetisch wenig reizvolles Gebirge entweder zu kurz oder zu lang gequälter und unbeholfen gewürzter Knollenscheiben. Jedoch waren seine Ansprüche damals gering.

Jetzt aber sollten es Salzkartoffeln werden. Seine bezaubernde Frau, eine Autorität in dieser Disziplin, hatte sich für einige Tage verabschiedet. Ihre Salzkartoffeln waren von einer Güteklasse, dass der Mann sie sogar bar jeder anhaftenden Soße verschlang, wann immer sie in Reichweite waren, und danach erst die Fischstäbchen. Vor der Abreise ließ die Könnerin den Kretin an ihrem Wissen teilhaben: Er möge, beschied sie ihn, die Kartoffeln schälen, in gesalzenes Wasser geben und garen, bis sie fertig seien.

Woran er bitte schön merke, dass sie fertig seien, fragte der überforderte, wenngleich am Wok gar nicht üble und an Nudeln jeglicher Gestalt sowie am Spiegelei durchaus routinierte Mann. Er müsse eben hineinstechen, dann merke er schon, erklärte sie. Mit der Gabel?, fragte er verzweifelt. Mit dem Messer, empfahl sie. Mit dem Kneipchen?, fragte er. Genau, sagte sie.

Anschließend ging der Mann spazieren, um sich für den Kochvorgang zu sammeln, und hörte in einem Literaturpodcast zufällig die Rezension des jüngsten Romans von Alina Bronsky, in dem der pensionierte Elektrofachverkäufer Walter Schmidt von seiner Frau Barbara im Kartoffelkochen instruiert wird. „Wie heiß soll das Wasser sein, wie viel Grad?“ – „Ach, Walter!“ – „Wie lange drinlassen?“ – „Bis sie fertig ist.“ (Es geht hier offenbar um eine einzige Kartoffel.) – „Wann weiß ich, dass sie fertig ist?“

Dergestalt verunsichert, weil es wohl viel mehr zu bedenken gab, als er ahnte (Kochtemperatur!), jedoch auch halbwegs beruhigt, weil noch ältere Männer existierten (pensionierte Elektrofachverkäufer!), die ebenfalls noch nie Kartoffeln gekocht hatten, ging er nach Hause und garte auf Anhieb, da konnte man nichts sagen, astreine Kartoffeln.

Man nennt sie übrigens auch Grund- oder Erdbirne. Nicht aber: Grundapfel. Das musste er seiner bezaubernden Frau erzählen.

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