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Ellbogen

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Von: Judith von Sternburg

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Ein Blick auf das Dionysostheater auf der Akropolis in Athen.
Ein Blick auf das Dionysostheater auf der Akropolis in Athen. © dpa

Egoismus und Unhöflichkeit im Theater – wie im richtigen Leben.

Zwei Ellbogen, eine Armlehne, und das über Stunden im Dunkeln. Das Theater ist ein Ort für soziologische Feldstudien und ein Gradmesser für die gesellschaftliche Befindlichkeit im bürgerlichen Segment. Ohnehin voller Bewunderung wird man im Penny erleben, wie geduldig und mit vereinten Kräften die Groschen des alten Mannes gezählt und noch einmal gezählt werden, bis es für die Waren doch noch reicht – aber die Bewunderung wird noch größer sein, wenn einem am Abend am Pausenbüfett der letzte Mediterrane Teller weggeschnappt worden ist. Hinterrücks, also vordrängelnd.

Es ist Egoismus und Unhöflichkeit, aber es ist auch das Leben. Im Saal sofort Diskussionen, weil die Hauptfigur zur Ouvertüre wie tot auf der Bühne liegt. „Sie ist schon tot“, fällt dem Nachbarn auf, und er muss die Stimme erheben, weil da vorne Musik spielt. Und als die Hauptfigur auf der Bühne nun doch den Arm rührt, entgeht das seiner Aufmerksamkeit ebenfalls nicht. „Nee, isse doch nicht.“ Seine Begleiterin sieht das genauso. „Isse nicht, nee“. Da es sich um eine extrem bekannte Oper handelt, summen eine Reihe weiter hinten einige mit (sehr ordentlich), und als die Tragödie ihren Lauf nimmt, haben sie alle etwas zu sagen. „Schlimm.“ „O Gott.“ „Auweia.“ Wie doch die Worte und Laute ständig herauswollen aus dem Menschen, wie niedlich das ist, wie ungezogen und nervtötend.

Wir möchten uns nicht in das Leben zufriedener Abonnenten und Abonnentinnen einmischen und an dieser Stelle lediglich noch einmal darauf hinweisen, dass es früher, also ganz früher auch nicht still war im Theater, im Gegenteil. Zudem war es – aus Gründen der Beleuchtungs-Zuständigkeiten – im Saal oft heller als auf der Bühne. Die Leute hatten sich schön gemacht, viele Bekannte waren da, man wollte schließlich etwas sehen. Wer möchte stocksteif im Stockdunkeln im nagelneuen Kleid 60, 90 Minuten lang auf die Pause warten. Interessant, dass es dann doch funktionierte. Richard Wagner machte es vor, nein, er machte es natürlich nicht vor, er war selbst eine Quasselstrippe, aber er sagte es an. In keinem anderen Zuschauersaal soll es bis dato so dunkel geworden sein wie in dem des Festspielhauses von Bayreuth. 150 Minuten am Stück im „Rheingold“.

Alarm schlagen jetzt Großbritanniens Musicaltheater, die der Zeitung „The Guardian“ zufolge zunehmend mit einem singenden, tanzenden, schimpfenden, und randalierenden Publikum zu tun haben. Geraten wird nun, mit Parolen wie „Beste Party der Stadt“ zurückhaltender zu sein. Unerfahrenheit in Theaterdingen, könnte man sagen, trifft hier auf beinharte Rücksichtslosigkeit. Klingt wie eine Stilfrage, ist ein Symptom.

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