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Times mager
Birne des Schreckens
- vonJudith von Sternburgschließen
Vor Weihnachten werden nicht nur Backrezepte reaktiviert.
Die Backrezepte zur Weihnachtszeit dürften Anfang der 70er Jahre einer namhaften Frauenzeitschrift entnommen worden sein. Seither gab es noch einige, wenige Ergänzungen. Ein Heidesandrezept, mit dem man knusprige Karamellkekse herstellen kann. Ein zweites Heidesandrezept, mit dem man knusprige Karamellkekse herstellen kann. Ein drittes Heidesandrezept, das noch auf seine Erprobung wartet. Das wird wohl dauern. Bis zum Sankt Nimmerleinstag.
Dadurch gewannen wir aber wertvolle Zeit und investierten sie in die Lektüre der Reklamen rund um die Backrezepte. Das ganzseitige Foto auf der Rückseite der Zimtstern-und-Butterkeks-Rezepte wirbt beispielsweise für Markenkompott. „Hmm! So süß und saftig. XXX Birne. Erste Qualität – wie alles von XXX.“ Die Birne selbst wirkt aus heutiger Sicht nicht appetitlich, Birnen überzeugen durch den Wohlklang des Wortes und den Geschmack der Frucht, nicht aber durch die Optik (wie wir Zeitungsleute sagen), erst recht nicht, wenn sie bereits geschält und eingekocht worden ist. Schon das Kind fühlte sich an die dubios undurchsichtige Flüssigkeit in den Birnengläsern erinnert, die – vermutlich um 1952 zubereitet – gelegentlich noch im Keller explodierten. Nicht jede Familie schmeißt alles gleich weg, bloß weil es das jetzt auch von XXX gibt.
Der junge Mensch ist etepetete, das dokumentierte der Widerwille gegen die Imprägniersprayreklame neben dem Spritzgebäck. „Wildleder-Schuhe muß man nicht wie Wildleder pflegen. Nicht wie Schuhe.“ Solche Schuhe jedoch, an denen die Flüssigkeit auf der Abbildung so ungemein abperlt, wollte man nicht so nah an den Plätzchen sehen, schon gar nicht die Flüssigkeit. Wer sich weder für Schuhpflege noch für Wildleder interessiert, fragt sich außerdem bis heute, was genau das bedeuten soll.
Zwar bietet sich Kristallglas logisch als Präsent an – „Frauen umgeben sich gern mit schönen Dingen. Doch meist sind die schönsten Dinge auch die teuersten“, ach, wie schade, aber vielleicht gibt es Ausnahmen? Noch nie jedoch in all den Jahrzehnten fiel der Blick auf den Coupon unten. „Ich habe mich verliebt in echtes Bleikristall./Nur hätt’ ich gern gewußt, was macht man in dem Fall./Ich weiß noch nicht, was nehm’ ich und was sieht besser aus./Drum schicken Sie mir schnell einen Prospekt ins Haus.“ Das wollen wir so stehenlassen. Wer es besser kann, der werfe den ersten Stein.
Vor zwei Jahren wurde in der FR an dieser Stelle übrigens die Lösung des Spritzgebäckproblems proklamiert. Durch eine neuartige, weltraumerprobte Tüte. Das ist Makulatur. Die Tüte platzte in diesem Jahr mit Effet. Da schau her: Eher kommt eine Rakete durch die Erdatmosphäre als Spritzgebäckteig durch die Tülle.